Die Aussetzung des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca ist ein herber Schlag für die Impfkampagne in Deutschland. Doch das Problem liegt nicht bei den Impfungen, die nun in den kommenden Wochen ausfallen müssen, sondern vielmehr bei der Panikmache rund um einen vollkommen brauchbaren Impfstoff.

Ein Kommentar von Tatjana Rykov

Nach der erzwungenen Impfpause wird es noch weniger Menschen geben, die dazu bereit sind, sich mit dem Vakzin von AstraZeneca impfen zu lassen. Bereits im Vorfeld gab es genügend Bürgerinnen und Bürger, die nicht zu ihrem Impftermin erschienen sind, weil vorher bekannt war, dass es sich um das Präparat von AstraZeneca handelt. Der Grund war damals die verhältnismäßig niedrige Wirksamkeit: Während AstraZeneca nach konservativen Schätzungen eine Wirksamkeit von 60 Prozent hat, liegt sie bei der Impfung von Biontech/Pfizer wohl bei über 90 Prozent.

Jetzt wurde ein neuer Grund gefunden den britischen Impfstoff (zumindest vorerst) zu meiden: Bei einigen Menschen kam es im zeitlichen Zusammenhang mit der Corona-Impfung zu Thrombosen der Hirnvenen. Von den 1,6 Millionen Personen, die in Deutschland mit AstraZeneca geimpft wurden, traten bei sieben Hirnvenenthrombosen auf, drei verliefen tödlich. Sieben von 1,6 Millionen; das entspricht 0,0004 Prozent der Geimpften. Drei von 1,6 Millionen entsprechen 0,00019 Prozent.

Die Zahlen sollen auf keinen Fall die Todesfälle relativieren, aber zwei Tatsachen sollen an dieser Stelle deutlich werden: Erstens hat jedes Medikament Nebenwirkungen und zweitens entspricht eine Korrelation keiner Kausalität.

Man gucke sich beispielsweise den Beipackzettel eines beliebigen Herstellers des Allerweltschmerzmittels Ibuprofen an: Sehstörungen, Magengeschwüre bis hin zu tödlich verlaufenden inneren Blutungen. All diese Nebenwirkungen wurden in verschiedener Häufigkeit im zeitlichen Zusammenhang mit der Einnahme von Ibuprofen beobachtet und gemeldet. Es ist aktuell wahrscheinlicher, dass sich die Speiseröhre nach der Einahme einer gewöhnlichen Schmerztablette entzündet, als eine Hirnvenenthrombose durch den Impfstoff von AstraZeneca zu bekommen. Auf den Beipackzettel der Anti-Baby-Pille – die bekanntermaßen für ein erhöhtes Thromboserisiko sorgt – wollen wir mal lieber nicht gucken; der ist Thema für einen anderen Kommentar.

Und nur, weil zwei Begebenheiten in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, ist noch lange keine Kausalität bewiesen. Diese Annahme wird in der Statistik als „Scheinkorrelation“ bezeichnet. Das bedeutet: Auch wenn man eine Korrelation (also einen Zusammenhang) zwischen zwei Variablen sieht, ist eine Kausalität noch nicht bewiesen. Tyler Vigen, Student der Harvard Law School, hat auf seiner Website eine Reihe an spaßigen Scheinkorrelationen zusammengestellt, die den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität wohl am besten verdeutlichen. So gibt es beispielsweise eine Korrelation zwischen der Anzahl an Filmen, in denen Nicolas Cage mitgespielt hat und der Anzahl an Personen, die in einen Pool gefallen und dann ertrunken sind. Heißt das jetzt, dass mit jedem Nicolas Cage-Film mehr Personen in einem Pool ertrinken? Natürlich nicht.

Ein kausaler Zusammenhang liegt erst dann vor, wenn zwei Ereignisse in einer Ursache-Wirkung-Beziehung stehen. Wenn es wärmer wird, dann wird mehr Eis verkauft. Wenn man dem männlichen Geschlecht angehört, verdient man(n) im Durchschnitt mehr Geld. Das sind kausale Zusammenhänge. Bisher ist noch nicht klar, ob ein solcher Zusammenhang auch zwischen dem Auftreten von Hirnvenenthrombosen und der Impfung mit AstraZeneca vorliegt. Aber: Die Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine Hirnvenenthrombose zu bekommen, ist verschwindend gering. Die Prüfung des Impfstoffs ist keineswegs falsch, eher im Gegenteil: Sollte nicht jedes Arzneimittel – eingeschlossen einer Corona-Impfung – fortlaufend geprüft werden?

Die Impfungen mit AstraZeneca in Deutschland komplett auszusetzen, verlangsamt unser Impftempo zusätzlich und verbreitet noch mehr Panik unter der Bevölkerung. Die einzige Möglichkeit, die dafür sorgen könnte, dass in Zukunft nicht noch mehr Corona-Impftermine mit AstraZeneca abgesagt werden, ist, diesen Impfstoff für alle freizugeben oder zumindest die Priorisierungen zu lockern. Ich würde mich mit AstraZeneca impfen lassen; ich habe auch sieben Jahre lang die Anti-Baby-Pille genommen.

Impfpass, über dts.

 


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Tatjana Rykov
Tatjana Rykov
Tatjana Rykov startete im Sommer 2019 mit einem Praktikum bei der HASEPOST. Seitdem arbeitete sie als freie Mitarbeiterin für unsere Redaktion. Nach ihrem Bachelor in Geschichte und Soziologie an der Universität Osnabrück ist sie seit 2023 wieder fest im Redaktionsteam. Derzeit schließt sie ihren Fachmaster in Neuste Geschichte an der Uni Osnabrück ab. Privat trifft man sie oft joggend im Park oder an ihrer Staffelei.

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