Mösers Meinung – zum Thema “normale Bürger”

Guten Abend,

ich habe mich in den letzten Tagen mal ein bißchen bei den sogenannten normalen Bürgern herumgetrieben.
Angesichts der großen weltpolitischen Themen, die seit Monaten die Nachrichten beherrschen und kaum noch Gelegenheit zum Luftholen geben, wollte ich doch mal hören und sehen, was meine Mitbürger so machen, was sie denken und fühlen, welche Hoffnungen und Erwartungen sie haben. Ich finde, daß diese Dinge im Moment ziemlich vernachlässigt werden. Immerhin sollte das Wohl des Bürgers doch das Maß aller Dinge für jeden Politiker sein. So habe ich es jedenfalls in meiner aktiven Zeit immer gehalten und ich bin damit ganz gut gefahren. Leider scheint dieser Grundsatz immer mehr in Vergessenheit zu geraten.

Ich sitze an einem Samstagabend irgendwo in der Dodesheide. Der Freund einer Freundin einer guten Freundin von mir hat zum gemütlichen Umtrunk geladen. Ich komme dieser Aufforderung gerne nach. Nach ein paar Bier beginnt der Gastgeber ein Gespräch mit mir. Er erzählt, daß seine Frau sich vor ein paar Monaten von ihm getrennt hat. Sie haben eine gemeinsame Tochter, die ist zehn Jahre alt. Er ist aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen, der Tochter zuliebe. Die soll die meiste Zeit bei ihrer Mutter bleiben, da gehört ein Kind seiner Meinung nach nun mal hin. Er hat sich dann kurzentschlossen diese Wohnung in der Dodesheide angemietet, direkt unterm Dach, klein aber fein. Und jetzt sitzen wir hier zusammen und trinken. Ich schaue in sein Gesicht, er sieht müde aus. „Ach, weißt du,“ sagt er ein klein wenig traurig zu mir, „irgendwie werde ich das schon alles schaffen. Ist natürlich nicht schön, jetzt immer so alleine zu sein. Aber meine Tochter kommt jedes zweite Wochenende und manchmal kommt sie auch in der Woche zu mir. Voxtrup ist ja nicht so weit. Und hier in der neuen Wohnung mache ich es mir richtig gemütlich, ich bin ein ganz guter Handwerker, das meiste mache ich selbst. Hauptsache, meiner Kleinen geht es gut.“ Und dann zeigt er mir sein neues Schlafzimmer, mit begehbarem Kleiderschrank und Doppelbett. Er ist ganz stolz darauf, auch wenn er dafür im Moment nicht so richtig Verwendung zu haben scheint. Die Hoffnung auf ein besseres Leben stirbt immer wieder zuletzt, zum Glück ist das so. Vielleicht wäre das Leben sonst auch gar nicht zu ertragen.

Mösers Meinung

Ich sitze an einem Donnerstagabend irgendwo in der Altstadt am Brett, ich habe mein Sparschwein geplündert und will es mir heute einfach mal gut gehen lassen. Am Brett ist schwer was los, die Wirtin hat gut zu tun. Ein alter Bekannter gesellt sich zu mir, gemeinsam haben wir schon einige Schlachten an der Theke geschlagen. Ich gebe ihm einen aus und frage, wie es so läuft. Er ist Sozialpädagoge und hat im Moment gut zu tun. Ständig muß er sich um Problemfälle kümmern, meistens Jugendliche, mit denen ihre Eltern nicht mehr klar kommen. Das ist sein Spezialgebiet. Ihm scheint seine Arbeit sehr wichtig zu sein und auch sehr nahe zu gehen. Grade hat er einen Jungen zu seiner Mutter zurückgebracht. Der Junge sei völlig durch den Wind, berichtet er. Der Vater kümmert sich überhaupt nicht um ihn, ist nur geschäftlich unterwegs und weiß in Sachen Kindererziehung natürlich alles besser. Die Mutter kümmert sich um den Haushalt oder tut zumindest so, ist den ganzen Tag alleine und auf sich selbst gestellt. Er hat den Eindruck, daß sie heimlich das Saufen angefangen hat. Daraufhin gebe ich ihm noch einen aus. Was denn mit dem Jungen das Problem sei, frage ich vorsichtig. „Ach, weißt du,“ sagt er ein wenig geistesabwesend, „eigentlich ist der Junge ganz in Ordnung. Aber er hat niemanden, der ihm ein bißchen Liebe gibt. Die Mutter hat genug mit sich selbst zu tun und der Vater ist einfach ein Arschloch. Das Kind ist Prestigeobjekt für die beiden, mehr nicht. Sie wollen heile Familie spielen und merken selbst, daß das nicht funktioniert, wenn man sich nicht ein bißchen anstrengt. Der Junge stört hauptsächlich, er gehört zwar dazu, aber irgendwie auch nicht. Ich weiß selber nicht, wie ich dir das erklären soll. Auf jeden Fall schwänzt er die Schule und treibt sich mit zwielichtigen Gestalten im Schloßgarten und am alten Güterbahnhof herum. Und ich muß mich jetzt darum kümmern, daß er nicht in eine Szene abrutscht, die ihn richtig nach unten zieht. Wir Sozialarbeiter sollen all das reparieren, was die Eltern versäumen. Aber so einfach geht das nicht. Ich kann nicht in ein paar Wochen einen Menschen wiederaufrichten, der über Jahre vernachlässigt worden ist.“ Dann trinkt er in einem Zug sein Bier aus und verabschiedet sich. Ich bleibe ratlos und nachdenklich am Tresen zurück.

Was ist bloß aus uns geworden? Ist das die schöne neue Welt, die uns mal versprochen worden ist? Familien, die nur auf dem Papier existieren, Eltern, die sich nicht einmal mehr um das eigene Kind kümmern wollen und können? Jeder muß selber sehen, wie er klarkommt. Und in der Politik wird über Syrien und den Mindestlohn für Flüchtlinge gestritten, über die Hotspots in Griechenland, wie man den Brexit vermeiden kann und wie Europa noch zu retten ist. Politik beginnt im Kleinen, das sollten wir nicht vergessen. Wie sollen wir die Welt retten, wenn unsere Gesellschaft immer weiter auseinanderfällt? Vielleicht sollten wir uns mehr umeinander kümmern, das wäre doch mal ein guter erster Schritt.

Ich wünsche allen Hasepost-Lesern ein Wochenende, an dem es nichts zu kritisieren gibt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Ihr

Justus Möser

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Justus Möser
Justus Möser
Justus ist unser "ältester Mitarbeiter", seit 1720 wandelt er durch unsere Stadt - wobei er inzwischen eher "geistert". Sein Vertreter in der Gegenwart ist unser Autor Wolfgang Niemeyer, der sich in dieser Kolumne regelmäßig darüber Gedanken macht „was würde Möser dazu meinen“?

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