Kallas Kolumne: Die Erschöpfungsgeschichte oder über die Unwahrscheinlichkeit der eigenen Existenz

Die Erschöpfungsgeschichte

Folgende Mail erhielt ich von Frau M:
„Was Sie da in der Zeitung von sich geben, mögen Sie ja witzig finden, aber mit Humor hat das wahrhaftig nichts zu tun. Es ist nur noch respektlos und längst kein harmloser Quatsch mehr. Überlegen Sie demnächst lieber besser, was Sie von sich geben! Wo bleibt Ihr Respekt vor der Schöpfung!!!?
A. M.“

„Liebe Frau M.,
wo bleibt Ihr Respekt vor harmlosem Quatsch und der Wissenschaft oder auch nur vor dem Zufall? Da Sie sogar die Schöpfung ins Spiel bringen, fällt meine Antwort etwas komplexer aus. Das haben Sie nun davon.
Als erstes frage ich Sie, frei nach meinem viel zu früh verstorbenen Freund und Kollegen Matthias Beltz, zurück: ‚Woher kommt der Mensch? Wohin geht der Mensch? Und warum ist er nicht dort geblieben?‘ Dazu müssen wir uns allerdings ergänzend die Fragen stellen: ‚Woher kommt die Erde? Wohin geht die Erde? Und was soll der ganze Quatsch?‘

Eine kurze Rückblende also:
Vor 13,78 Milliarden Jahren war der Big Bang, der Urknall also, den übrigens kein Mensch gehört hat – obwohl es uns schon alle gab, nur noch etwas unglücklich sortiert in der Form von etwa acht Quadrilliarden Atomen, also pro Mensch. Eine 8 mit 27 Nullen. Daraus besteht nun mal der Mensch, manche sind sogar bis heute eine einzige Null geblieben.
Halleluja, Frau Milde! Wir sind alle fast 14 Milliarden Jahre alt.
1 Quadrilliarde sind übrigens 1000 Quadrillionen
1 Quadrillion sind 1000 Trilliarden
1 Trilliarde sind 1000 Billiarden
1 Billiarde sind 1000 Milliarden
1 Milliarde sind 1000 Millionen
Heute können wir dank neuester Teleskope alles, was bis etwa 380.000 Jahre vor dem Big Bang geschah, rückblickend sehen und bis auf 1-43 Sekunden genau berechnen.
Doch was interessiert uns die Vergangenheit unseres Planeten und seiner Bewohner? Werfen wir lieber einen Blick auf die rosige, also äußerst dornige Zukunft der Menschheit und ihres angestammten Planeten.

In den nächsten 50 Millionen Jahren wird Europa aufgrund der Plattentektonik von Afrika unterwandert, denn der afrikanische Kontinent schiebt sich von unten gegen Europa.
Das Mittelmeer ist weg, zu unserer großen Freude und ihrem eigenen Entsetzen sitzen Mallorca-Urlauber auf dem Trockenen, und zwar in Höhe der französischen Alpen, und Schwarzafrika, der Schwarzwald und Schwarzbayern wachsen buchstäblich zusammen, ob das den jeweiligen Ureinwohnern nun passt oder nicht. Damit drängen sich für Asylsuchende als Unterkünfte schon heute Berghütten mit Kuckucksuhren geradezu auf.

Die permanenten ‚Bürgerkriege‘ in Syrien oder im Irak finden dann übrigens in Tschechien statt, so dass die derzeit dort noch immer stationierten 18 tschechischen Militärberater automatisch für ein paar Tage wieder zu Hause sind, bevor sie sich einige Millionen Jahre später gemeinsam mit den afghanischen Taliban und versprengten ISIS-Horden aufgrund mangelhafter Bekleidung am Nordkap im zersprengten Restkalifenstaat den Arsch abfrieren.

Aber solche kurzen Zeiträume interessieren nach kosmischen Maßstäben überhaupt nicht, darum gestatten Sie mir einen kleinen Exkurs, Frau M.:
Sobald im Kern der Sonne die letzten Wasserstoffatome zu Helium verbrannt sind, passiert mit ihr nämlich das, was gerade dank der Corona-Epidemie auf der Erde geschieht: Das ganze System gerät aus dem Gleichgewicht. Das war es aber auch schon mit der Analogie, denn unser Stern breitet sich im Gegensatz zur Erde zum Roten Riesen aus.
In zwei Milliarden Jahren wird es so heiß, dass Leute, die an die Wiedergeburt glauben – also vom Esoteriker bis hin zum Buddhisten –, richtig Probleme bekommen, da sie nicht einmal mehr als Kakerlake, sondern allenfalls noch als Qualle in den nun rasch austrocknenden Meeren eine geringe Überlebenschance haben.
Da die meisten Buddhisten in Deutschland ohnehin Schauspielerinnen oder Schauspieler sind, werden sie sich aber auch an diese neue Rolle als Qualle rasch gewöhnen können, nur mit den Yogaübungen gibt es dann Probleme, aber die gab es ja wegen des fehlenden Rückgrats auch vorher schon. So, wie einst Hitler übrigens Vegetarier war, so war Himmler vom Buddhismus fasziniert, und es erübrigt sich für mich die Frage, ob ein sich vegetarisch ernährender Buddhist automatisch ein guter Mensch ist. Wobei der modebewusste Vegetarier längst Veganer ist. Und eins steht heute schon fest: Veganer werden nicht älter, die sehen nur älter aus.
Doch zurück zur bereits explodierten und sich ständig ausdehnenden Sonne: Erst mal werden Merkur und Venus verschluckt, dann sämtliche Sonnenstudios und Glückspielhallen und dann erst die Erde selbst, wir können uns das phantastische Spektakel also in aller Ruhe ansehen, bevor wir selbst an Verbrennungen dritten Grades eingehen …
Die Sonne wird zunächst als Weißer Zwerg enden und als Neutronenstern gerade mal noch 10.000 km Durchmesser haben, also nicht einmal ganz so groß wie die heutige Erde sein.

Und was heißt das nun für Sie als Christin?
Halleluja! Denn die Menschheit rückt mit ihrem angestammten Planeten als Bestandteil dieses Neutronensterns endlich enger zusammen, sehr eng sogar: Ein Katholik hat dann nur noch einen knappen halben Meter von Cloppenburg aus nach unten zu gehen und schon ist er in Rom.
Sobald dann dieser Neutronenstern etwa weitere 20 Milliarden Jahre später vom Schwarzen Loch verschluckt wird, dass sich schon lange nicht mehr in Rom, sondern im Mittelpunkt der Milchstraße befindet, beträgt der Durchmesser der Erde noch – halten Sie sich fest, Frau Milde – sage und schreibe 43 Millimeter, 4,3 Zentimeter also.
Kurz: Die gesamte Erde ist dann exakt so groß wie ein Golfball, in dem ansonsten etliche tausend Kilometer großen Schwarzen Loch, in dem sich die kümmerlichen Reste der Milchstraße und anderer Galaxien befinden werden. In 60 bis 70 Milliarden Jahren geht übrigens dann im Universum das Licht endgültig aus und wir stehen erneut vor dem Nichts.
Deswegen gehen Leute wie Sie in die Kirche oder andere in die Moschee oder sonst wohin, um eben antworten auf Nichts zu bekommen, oder besser: auf das Nichts, damit dann einer wieder den Schalter anknipst und sagt: ‚Es werde Licht.‘

Wenn nun die letzte Stromrechnung bezahlt worden ist, geht womöglich der ganze Unsinn, den Sie Schöpfung nennen, eventuell sogar von vorne los. ‚Im Anfang war das Wort, und das Wort war: Entschuldigung, aber der letzte Versuch ging voll daneben!‘
Und was soll das alles? Für einige fängt der Glaube eben wirklich allerspätestens da an, wo das Wissen aufhört, was durchaus verständlich sein mag, aber warum freut sich der Mensch nicht einfach darüber, dass es ihn überhaupt gibt? Zumal die Wahrscheinlichkeit der eigenen Existenz absolut unwahrscheinlich ist, eher gewinnt man in jeder Quadrillionsten Sekunde seines ganzen Lebens den Jackpot im Lotto, also nicht ein einziges Mal, sondern unendlich oft.
Der Urknall musste genau so stattfinden, wie er stattgefunden hat, damit sich daraus irgendwann ein Planet wie die Erde bilden konnte, was an sich schon völlig unwahrscheinlich ist. Aber nicht nur alle Vorgänge im All mussten seit dem Urknall so stattfinden, damit sich der Sternenstaub derart vernünftig sortiert, um irgendwann daraus Leben entstehen zu lassen. Auch sämtliche Prozesse auf der Erde und im Sonnensystem, jede einzelne Naturkatastrophe, vom schwächsten Asteroideneinschlag bis hin zum gewaltigsten Vulkanausbruch, musste genau so vonstatten gehen, bis sich daraus endlich etwas Ähnliches wie Leben und irgendwann menschliche Wesen entwickeln konnten. Und all die unzähligen Generationen vor uns mussten auf die Sekunde genau so leben und sich entwickeln, damit am Ende unsereins daraus entstehen konnte.
Kurz: es kann uns eigentlich gar nicht geben.
Und warum das so ist?
Wir wissen es nicht.
Noch nicht.
Deswegen gehen einige Leute in die Kirche, wohingegen neugierige Menschen lieber weiter forschen, um Antworten auch auf die Fragen zu finden, die kaum zu beantworten sind, denn nach wie vor gilt: Wer nichts weiß, muss alles glauben.

Ich wünsche allen eine schöne Woche, Kalla Wefel

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Kallas Kolumnen aus dem Jahr 2019 gibt es auch als BuchKallas Kolumne: Die Erschöpfungsgeschichte oder über die Unwahrscheinlichkeit der eigenen Existenz

 

 

 


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