Gegen klare Empfehlung der Gutachter: SPD und Grüne wollen Einspurigkeit auf Pagenstecherstraße

“Vorzugsvariante” war der Begriff, mit dem die Experten vom Dresdner Planungsbüro VKT den Mitgliedern des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt in der vergangenen Woche nahelegten, wie am besten mit der Verkehrssituation auf der Pagenstecherstraße umzugehen sei. “Vorzugsvariante” bedeutete, dass kein Rückbau auf zukünftig nur noch eine Fahrspur je Richtung erfolgen soll.

Doch so viel Expertenwissen wollten die Ausschussmitglieder von SPD und Grünen nicht an sich heranlassen und favorisierten eine andere Lösung.

Die Gutachter hatten im Auftrag der Stadt Osnabrück untersucht, wie die zentrale Verkehrsachse, die Eversburg mit der Innenstadt verbindet und darüber hinaus eine direkte Anbindung an die Autobahn A1 darstellt, für den Radverkehr sicherer gestaltet werden kann.

Heraus kam eine Wahl zwischen Pest und Cholera, wie Anette Meyer zu Strohen (CDU) das Dilemma der Lokalpolitiker auf den Punkt brachte. Die Wahl zwischen den beiden Varianten bedeutet für die Politik, dass in jedem Fall unpopuläre Entscheidungen zu treffen sind.

Weiter zweispurig je Richtung, aber 27 Bäume fällen?

Die von den Gutachtern bevorzugte “Variante 1” (die “Vorzugsvariante”), die auch bei der CDU “mit Bauchschmerzen”, so Meyer zu Strohen, bevorzugt wird, sieht genau wie die ebenfalls ausführlich durchgeplante zweite Variante einen deutlich breiteren Fahrradweg vor, der dann als “Protected Bike Lane” gestaltet werden kann. Doch dafür fehlt dann der notwendige Platz, soll der Individualverkehr weiter wie bisher rollen. Es müssten 27 Bäume weichen, damit der Radverkehr mehr Freiraum bei der Durchquerung des Gewerbegebiets erhält – oder eine der bisherigen Fahrspuren je Richtung fällt weg.

Berechnungen zeigen: Mit nur einer Fahrspur je Richtung gibt es den Dauerstau

Klare Vorteile der Variante, bei der der Individualverkehr auch weiterhin auf zwei Spuren die Innenstadt erreicht, ist nach Berechnungen der Gutachter, dass die ohnehin schon oft am Limit der als Mindeststandard geltenden Kapazitätskenngrößen belasteten “Page”, dann auch weiterhin nur in den Spitzenzeiten am Morgen und am Nachmittag, zur Staufalle wird.
Würde die im späteren Verlauf der Ausschusssitzung von der rot/grünen Mehrheit befürwortete Variante 2 umgesetzt, ist nach durchgeführten Berechnungen mit einem Dauerstau zu rechnen.

Der Lieferverkehr an der "Automeile" erfolgt bislang "frei Bordsteinkante"; Foto: Pohlmann
Der Lieferverkehr an der “Automeile” erfolgt bislang “frei Bordsteinkante”. / Foto: Pohlmann

Otte stört sich am Ladeverkehr auf der “Automeile”

So viel Hexenwerk mit Zahlen und Fakten wollte Stadtbaurat Frank Otte nicht gelten lassen. Das für die Berechnung herangezogenen Verfahren würde einzig den Autoverkehr beachten, eine dringend notwendige Neubewertung des als Standard für die Verkehrsplanung geltendenden Verfahrens müsste zukünftig auch die Wartezeit von Fußgängern und Radfahrern an den Kreuzungen berücksichtigen.
Und überhaupt, so Otte, “es kann nicht sein”, dass viele Anlieger der Pagenstecherstraße den Ladeverkehr über den Straßenrand abwickeln würden.
Otte: “Ich habe wenig Verständnis, dass wir es in einem Gewerbegebiet nicht schaffen, dass die Unternehmen ihre Anlieferung nicht auf ihrem Grundstück abwickeln.” Der Stadtbaurat versuchte damit zu relativieren, was die Dresdner Verkehrsexperten als eines der weiteren Probleme einer einspurigen Verkehrsführung aufführten. Insbesondere die zahlreichen Autohäuser im Gewerbegebiet Hafen werden durch Autotransporter beliefert, die kurzzeitig auf der rechten Spur halten, um Neuwagen abzuliefern.

Was für ein Dilemma: 27 Bäume sollen fallen für einen breiteren Radweg

Kerstin Meyer-Leive vom Bund Osnabrücker Bürger (BOB) stellte dem Stadtbaurat daraufhin eine Frage, die unbeantwortet bleiben sollte: “Wie sollen die LKW denn auf die Grundstücke kommen?”
Der BOB-Politikerin war aber auch ganz offensichtlich unwohl mit den beiden Vorschlägen der Dresdner Experten, sie resümierte das Dilemma: “Als erstes ist mir aufgefallen, 27 Bäume sollen gefällt werden.”

Optimistisch zeigte sich SPD-Verkehrsexperte Heiko Panzer: “Wir werden den P&R Platz in Eversburg und eine ÖPNV-Spur auf der Wersener Straße einrichten. Die Natruper Straße wird Anwohnerstraße, über die dann der Busverkehr an der Pagenstecherstraße vorbeigeleitet wird.” Panzer betonte, dass mit der SPD ein Fällen der 27 Stadtbäume nicht gehen wird. “Wir glauben, dass die Mobilitätswende auch an der Pagenstecherstraße geschehen muss.”

FDP macht Entscheidung von bislang nicht realisierten Plänen abhängig

Glauben wollte dem SPD-Politiker gerne auch Oliver Haskamp von der FDP, der machte allerdings die später gegebene Zustimmung zur pro Fahrtrichtung einspurigen Variante davon abhängig, dass der seit Jahren angekündigte P&R-Platz nahe dem Rubbenbruchsee auch tatsächlich gebaut werde und die Natruper Straße mit dem Umbau der Pagenstecherstraße zur Anwohnerstraße umgewidmet werde.
Für den FDP-Politiker recht ungewohnt, betonte Haskamp, der sich im vergangenen Kommunalwahlkampf vorwiegend auf dem Fahrrad zeigte: “Die Pagenstecherstraße ist und bleibt eine Gewerbestraße. Sie ist eine Zufahrt in die Innenstadt für Menschen, die einkaufen wollen. Sie soll auch in Zukunft dazu dienen, Menschen mit dem Auto in die Stadt zu bringen.”

Stadtbaurat Otte erwiderte dem FDP-Politiker, dass man vonseiten der Verwaltung dann aber auch den Auftrag brauche, die Natruper Straße entsprechend umzubauen.

Grünen-Politiker: Zweite Fahrspur wird nur selten benötigt

Bevor SPD und Grüne der Empfehlung der von der Stadtverwaltung beauftragten Verkehrsexperten eine Abfuhr erteilten, stellte der Grünen-Politiker Dr. Michael Kopatz noch die These in den Raum, dass die Pagenstecherstraße ja nur für jeweils eine Stunde am Morgen und am Nachmittag so viel Verkehr abwickeln müsse, dass zwei Spuren je Fahrtrichtung benötigt würden. Der Rückbau auf nur eine Spur sei “nur konsequent” und solle “am besten in einem Rutsch” erfolgen. Beim Rückbau der Bremer Straße vor ein paar Jahren habe man, so Kopatz, genau die gleiche Diskussion gehabt. “Menschen ändern ihre Mobilitätsroutinen erst, wenn wir die Strukturen ändern.”

Der StuA-Vorsitzende Jens Meier (ebenfalls Grüne) betonte, dass der Fachausschuss eine “Vor-Festlegung” auf den Weg bringt. Die Verwaltung muss nun tiefer in die Planung einsteigen, die endgültige Entscheidung liegt beim Rat der Stadt Osnabrück.

BOB: “wirklichkeitsfremde Entscheidung”

Nach der Ausschusssitzung meldete sich der Bund Osnabrücker Bürger (BOB) mit einer Pressemeldung zu Wort. Nach Ansicht des BOB sei “eine rein ideologische Entscheidung getroffen worden, die weder die Interessen der Bürger und Gewerbetreibenden in diesem Gebiet noch die verkehrstechnische Realität an der Pagenstecherstraße berücksichtigt”.
Der Vorsitzender des BOB, Dr. Steffen Grüner, zeigt sich “entsetzt über die wirklichkeitsfremde Entscheidung” und fragt: “Wo sollen die Autos denn hin?”. Der BOB fordert vor einer endgültigen Entscheidung die Simulation von bestimmten Szenarien, die durch eine Verkleinerung der Pagenstecherstraße entstehen werden.

CDU: SPD und Grüne “fügen der Stadt schweren Schaden zu”

Und auch die CDU-Ratsfraktion zeigte bereits an, dass sie die Pläne für die “Page” weiter kritisch begleiten will. “Grüne, SPD und Volt können die Konsequenzen ihres Beschlusses gar nicht abschätzen und fügen der Stadt auf viele Jahre schweren Schaden zu. Der Verkehr wird sich massiv auf die Hansastraße und die Natruper Straße sowie angrenzende Wohngebiete verlagern”, mahnt Verena Kämmerling, umweltpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, die es als “Illusion” ansieht, zu glauben, dass mit dem geplanten P+R-Parkplatz an der Wersener Straße eine ausreichende Alternative für Pendler und Gäste der Stadt zur Verfügung stehen wird.

Kommentar des Redakteurs:

Über die Kosten des Umbaus in den Varianten 1 oder 2 sowie die offensichtlichen, volkswirtschaftlichen Schäden, die weitere Stau-Minuten und Stau-Stunden für den Bürger, den Handel und die Gastronomie in der Innenstadt bedeuten, wurde im Ausschuss ebenso wenig gesprochen wie über eine theoretische Variante 3: “Beibehaltung des Status Quo und Ausbau der Natruper Straße zur bevorzugten Fahrradroute zwischen Eversburg und Innenstadt.”
Geld spielt bei den Feierabendpolitikern – wie gewohnt – keine Rolle; es ist ja das Geld anderer Leute. Auch die anstehenden wirtschaftlichen Herausforderungen durch Post-Corona und Krieg in der Ukraine haben die Osnabrücker Lokalpolitiker ganz offensichtlich noch nicht erreicht.


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Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann gründete die HASEPOST 2014, basierend auf dem unter dem Titel "I-love-OS" seit 2011 erschienenen Tumbler-Blog. Die Ursprungsidee reicht auf das bereits 1996 gestartete Projekt "Loewenpudel.de" zurück. Direkte Durchwahl per Telefon: 0541/385984-11

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