In Osnabrück sorgt die Absetzung des Theaterstücks „Ödipus Exzellenz“ weiterhin für Diskussionen. Rund 600 Personen haben jetzt einen offenen Brief unterzeichnet, der sich an Oberbürgermeisterin Katharina Pötter, die Ratsfraktionen und den Stadtrat richtet. Die Unterzeichnenden fordern eine politische Aufarbeitung der Vorgänge am Theater Osnabrück und eine Debatte über die dortigen Machtverhältnisse.
Ein Stück über Missbrauch
„Ödipus Exzellenz“ sollte ein Theaterabend über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche werden – mit besonderem Blick auf das Bistum Osnabrück. Doch kurz vor der Premiere im August zog Intendant Ulrich Mokrusch den Stecker: Das Regieteam wurde entlassen, das Bühnenbild entsorgt, die Premiere abgesagt.
In der Pressemitteilung des Theaters wurden im vergangenen Juni als Grund „unüberbrückbare Differenzen in der Art der künstlerischen Umsetzung“ angeführt. Im offenen Brief ist jedoch die Rede davon, der Intendant habe das Osnabrücker „Publikum schützen“ wollen. Weiter heißt es: „Doch brauchen und wollen wir diesen Schutz?“ Die Unterzeichnenden sehen in der Absage nicht nur einen Angriff auf die Kunstfreiheit, sondern auch eine Missachtung der Betroffenen sexualisierter Gewalt. „Das Stück, welches das Schweigen brechen und zur jahrelang versäumten Aufarbeitung beitragen wollte, wurde nun selbst zum Schweigen gebracht und damit auch die Stimmen der Betroffenen“, schreiben sie.
Theater als demokratischer Ort – oder hierarchisches System?
Der offene Brief kritisiert scharf die Strukturen, die solche Entscheidungen möglich machen. Der Intendant verfüge über zu viel Macht, die Mitbestimmung der Mitarbeitenden sei zu gering. Zur Untermauerung zitieren die Verfasser den Theaterwissenschaftler Thomas Schmidt: „Struktur und Macht sind zwei prägende und miteinander verknüpfte Aspekte des deutschen Theaterbetriebes. Er beruht auf der streng hierarchischen Organisation von 1900 und hat seitdem strukturell kaum Veränderungen erfahren.“
Diese Hierarchie habe im Fall Osnabrück hautnah gezeigt, wohin sie führen könne: zu Konflikten, Enttäuschung und einem Vertrauensverlust in die Theaterleitung.

Forderung nach Demokratisierung und Debatte
Die Unterzeichnenden des offenen Briefes sehen nun die Politik in der Pflicht. Sie fordern, dass die Diskussion über Machtstrukturen und Kunstfreiheit auf städtischer Ebene fortgesetzt wird. Außerdem solle bei künftigen Entscheidungen über Intendanzen mehr Mitbestimmung ermöglicht werden.
„Eine Demokratisierung dieser Institution ist dringend notwendig“, heißt es im Brief. Ebenso müsse die Perspektive der Betroffenen sexualisierter Gewalt einbezogen werden. Die Absage des Stücks sei für viele ein schmerzhaftes Déjà-vu – ein erneutes Schweigen über Machtmissbrauch.
Reaktionen aus dem Theateraufsichtsrat
Der Aufsichtsrat des Theaters und die Stadt Osnabrück weisen die Vorwürfe in einer gemeinsamen Stellungnahme zurück. Brigitte Neumann, Heiko Schlatermund und Kulturdezernent Wolfgang Beckermann betonen: „Wir sehen in der Absetzung weder einen Skandal noch einen Eingriff in die Kunstfreiheit.“
Die Entscheidung des Intendanten sei „kein ungewöhnlicher Vorgang im Theaterbetrieb“ und auf Grundlage eines bestehenden Vertrags erfolgt. Man müsse, so die Vertreter des Aufsichtsrates, „darauf vertrauen, dass dieser Vertrag eingehalten und respektiert wird“.
Zudem verweisen sie darauf, dass Mitbestimmung am Theater Osnabrück durchaus gelebt werde: „Auch die Berufung von Intendant Ulrich Mokrusch beruhte auf einem transparenten und partizipativen Verfahren, an dem unter anderem Mitglieder der Ensembles mitgewirkt haben.“
Zwischen Aufarbeitung und Aufbruch
Während intern eine „Aufarbeitung“ laufe, appellieren die Briefunterzeichner an die Stadt, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen. Der Streit habe – nicht erst nach der hitzigen Debatte auf dem Theatervorplatz im August – überregionale Aufmerksamkeit erlangt und müsse nun zu einer grundsätzlichen Diskussion über Macht, Verantwortung und Kunstfreiheit führen.
