Griesert: „Die Katastrophen der Welt richten sich nicht nach unseren Belegungsplänen!“

Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (57, CDU) im Interview zum Flüchtlingheim am Natruper Holz, Vorwürfe gegen seinen Amtsvorgänger und jetzigen Landesinnenminister Boris Pistorius (54, SPD) und zur Zukunft des Objekts, nach Ablauf der zehnjährigen Pacht durch das Land Niedersachsen.

Während der Bürgerversammlung vor knapp zwei Wochen waren kaum kritische Stimmen zu hören. Hat Sie das, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, überrascht, wie offen und geradezu freudig viele Osnabrücker auf die Entscheidung, ein Flüchtlingsheim im ehemaligen Bundeswehrkrankenhaus einzurichten, reagiert haben?

Es hat mich eigentlich nicht überrascht, dass beim Bürgerforum im Ratssitzungssaal eine eher positive Grundstimmung spürbar war. Ich war sehr erleichtert darüber, dass die Anwesenden ein großes Interesse daran haben, den Ankommenden ihren Neuanfang so leicht wie möglich zu machen. Verbunden damit sind aber auch viele Fragen, die alle beantwortet werden sollen. Deswegen hat die Verwaltung auch ein Bürgertelefon eingerichtet (0541-323-4222, die Redaktion) Menschen, die helfen wollen, die Fragen und Sorgen haben, können das Bürgertelefon nutzen.

Probleme entstehen offenbar vor allem da, wo Flüchtlinge längerfristig in Containersiedlungen untergebracht werden müssen. Eine solche Situation wollen wir für Osnabrück vermeiden.

In anderen Städten ist die Ablehnung solcher Vorhaben größer als in Osnabrück?

Ich glaube, dass wir trotz des großen Zeitdrucks alles dafür getan haben, die Öffentlichkeit umfänglich zu informieren. Davon kann dann unter Umständen das Gelingen oder eben auch Misslingen solcher Projekte abhängen. Probleme entstehen offenbar vor allem da, wo Flüchtlinge längerfristig in Containersiedlungen untergebracht werden müssen. Eine solche Situation wollen wir für Osnabrück vermeiden. Mir ist außerdem bewusst, dass wir sehr darauf achten müssen, wie sich eine solche Einrichtung in die Nachbarschaft integrieren lässt, in der – so ist mein Eindruck – die Hilfsbereitschaft groß ist.

Das Interesse des Landes und das der Stadt decken sich hier auf sehr gute Weise, so dass beide Seiten überzeugt sind, eine gute Lösung gefunden zu haben.

Ein anderer Aspekt dazu: die Landes-CDU hat Ihren Amtsvorgänger und jetzigen Landesinnenminister Boris Pistorius kritisiert, es habe ein „Geschmäckle“, dass mit der Entscheidung für Osnabrück als Standort des Flüchtlingsheims ausgerechnet seine Heimatstadt finanziell spürbar entlastet werde. Was halten Sie von solchen Vorwürfen?

Diese Reaktion war möglicherweise etwas reflexartig. Sie ist ja dann auch nicht wiederholt worden. Daher gehe ich davon aus, dass das erledigt ist. Das Land ist von vielen Bürgermeistern und Oberbürgermeistern und dem Städtetag seit Monaten aufgefordert worden, die Kapazitäten durch neue Erstaufnahmeeinrichtungen zu erweitern. Und insofern hätte Herr Pistorius jede Chance genutzt, eine vernünftige zusätzliche Erstaufnahmeeinrichtung zu schaffen. Die Liegenschaft in Osnabrück ist im Vergleich zu anderen im Land geprüften Möglichkeiten einfach gut geeignet. Alles passt: Das Interesse des Landes und das der Stadt decken sich hier auf sehr gute Weise, so dass beide Seiten überzeugt sind, eine gute Lösung gefunden zu haben.

Aktuell steht die Zahl von 600 Flüchtlingen im Raum, die am Natruper Holz untergebracht werden sollen – ist diese Zahl auch in einem Jahr noch gültig, oder werden wir dann – wie zum Beispiel in Bramsche-Hesepe – Container auf dem Hof des Geländes stehen sehen, um zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen?

Das ist eine ganz berechtigte Frage angesichts des Bestrebens des Landes, Entlastung für Bramsche, Friedland und Braunschweig zu schaffen. Daher sucht das Land schon jetzt eine Immobilie für eine weitere Aufnahmestelle. Wenn das nicht im nächsten Jahr gelingt und die Flüchtlingsströme nicht abnehmen – wovon alle ausgehen –, kann keiner eine kurzfristige Mehrbelegung ausschließen. Deutlich ist aber, dass sich das Land sehr bemüht, eine solche Situation möglichst zu vermeiden.
Erst am Ende des Jahres 2015 sollen in Osnabrück 600 Menschen untergebracht werden können. Das hat auch etwas damit zu tun, dass noch nicht alle Räume zur Verfügung stehen. Wir haben noch alte Mietverträge in dem Gebäude. Ich gehe davon aus, dass dies die maximale Belegung ist, auch wenn zeitweise mehr Menschen aufgenommen werden sollten als geplant. Die Katastrophen der Welt richten sich nun einmal nicht nach unseren Belegungsplänen.

Aber vertragliche Regelungen gibt es nicht?

Natürlich ist vertraglich geregelt, was sich vertraglich regeln lässt. Das Klinikum verpachtet diese Liegenschaft für 10 Jahre. Es besteht ein Sonderkündigungsrecht nach sieben Jahren. Wie gesagt, diese Liegenschaft bietet Platz für 600 Menschen. Das ist die Zahl, die wir miteinander auch ausgetauscht haben.

Sie haben auf der Bürgerversammlung vergangenen Mittwoch gesagt, dass für die Nutzung des Geländes nach der zehnjährigen Verpachtung Pläne gemacht werden sollen. An was für eine Nachnutzung haben Sie da gedacht?

Wir haben schon vor der Überlegung, ob dort Flüchtlinge untergebracht werden können, den Planungsprozess angestoßen, mit der Frage: was machen wir mit der Liegenschaft? Das alte Bundeswehrkrankenhaus hat den Haken, dass es zum großen Teil von massivem Bunkerwerk unterkellert ist. Deshalb sind verschiedene Varianten zu untersuchen.
Ich habe Stadtbaurat Frank Otte gebeten, eine städtebaulich attraktive Entwicklung, zum Beispiel zu einem Wohngebiet, voranzutreiben. Das wird bei den außergewöhnlich komplexen Rahmenbedingungen sicherlich fünf bis sechs Jahre dauern.

Sind die sieben oder zehn Jahre Pacht denn realistisch, oder werden wir in ein paar Jahren erleben, dass der Pachtvertrag verlängert wird?

Es gibt klare Absprachen darüber, dass wir weder das Grundstück noch das Gebäude verkaufen. Wir behalten das Gelände in unserer Hand und wollen selber entscheiden, wodurch langfristig ein nachhaltig positiver Impuls für die Stadtentwicklung erzeugt werden kann.

Eine letzte Frage zum Thema Flüchtlingsheim. Wer der Betreiber wird und woher die Arbeitskräfte kommen – im Gespräch waren die Mitarbeiter des jetzt geschlossenen Krankenhauses in Dissen – können Sie uns auch noch nicht sagen?
(Anmerkung der Redaktion: inzwischen wurde die Diakonie als Betreiber von der Landesregierung bestätigt).

Nein, das ist ja Aufgabe des Landes, einen Betreiber zu suchen. Ich habe aber gesagt, dass es schön wäre, wenn auch die Mitarbeiter der Auffanggesellschaft, die früher im Dissener Krankenhaus gearbeitet haben, hier eine neue Arbeitsstelle finden können. Jetzt müssen wir abwarten, welcher Betreiber es sein wird und wie überhaupt die Anforderungen an die Mitarbeiter sein werden. Sozialpädagogen, Psychologen, Hausmeister – all das ist ja auch vom Betreiber und Betriebskonzept abhängig. Es wäre aber schön, wenn hier einige aus der Auffanggesellschaft einen neuen Arbeitsplatz finden können.

Vielen Dank für das freundliche Gespräch Herr Oberbürgermeister – von unserer Seite wünschen wir Ihnen jetzt schon Frohe Weihnachten, und wir freuen uns Sie als Leser zu haben!

Das Interview mit Oberbürgermeister Wolfgang Griesert führte Heiko Pohlmann.


Liebe Leserin und lieber Leser, an dieser Stelle zeigen wir Ihnen künftig regelmäßig unsere eigene Kommentarfunktion an. Sie wird zukünftig die Kommentarfunktion auf Facebook ersetzen und ermöglicht es auch Leserinnen und Lesern, die Facebook nicht nutzen, aktiv zu kommentieren. FÜr die Nutzung setzen wir ein Login mit einem Google-Account voraus.

Diese Kommentarfunktion befindet sich derzeit noch im Testbetrieb. Wir bitten um Verständnis, wenn zu Beginn noch nicht alles so läuft, wie es sollte.

 
Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann gründete die HASEPOST 2011 unter dem Titel "I-love-OS". Die Titelgrafik der HASEPOST trägt dieses ursprüngliche Motto weiter im Logo. Die Liebe zu Osnabrück treibt Heiko Pohlmann als Herausgeber und Autor an. Neben seiner Tätigkeit für die HASEPOST zeichnet der diplomierte Medienwissenschaftler auch für zwei mittelständische IT-Firmen als Geschäftsführer verantwortlich.

Diese Artikel gefallen Ihnen sicher auch ...Lesenswert!
Empfohlen von der Redaktion