Mit der Uraufführung von „Die Brücke vom Goldenen Horn“ nach dem gleichnamigen Roman von Emine Sevgi Özdamar eröffnete das Theater Osnabrück am Freitagabend (29. August) die neue Spielzeit – und präsentierte einen Abend, der ebenso verdichtet wie offen angelegt ist.
Die autobiografisch geprägte Vorlage, 1998 erschienen, erzählt vom Lebensweg einer jungen Frau aus Istanbul, die in den 1960er-Jahren bei Telefunken in Berlin arbeitet, in die Studentenbewegung hineingerät, später in der Türkei linke Künstlerzirkel und das politische Theater erlebt – und schließlich in Zeiten des Terrors ihre Muttersprache verliert. Ihre Rettung findet sie in der deutschen Sprache und in Brecht.
Fragment statt Figuren
Regisseur Tanju Girişken und Dramaturgin Sophie Hein entschieden sich für eine knappe Fassung von 1 Stunde 45 Minuten, die auf Dialoge weitgehend verzichtet. Lua Mariell Barros Heckmanns, William Hauf und Sascha Maria Icks teilen sich die Hauptrolle, wechseln einander ab, fast wie in einem einzigen langen Monolog. Mit hohem Tempo reihen sie Szenen aneinander: der Fließbandalltag bei Telefunken, das Berliner Nachtleben, erste Schritte an der Schauspielschule. Figurenzeichnung gibt es kaum – stattdessen entstehen blitzlichtartige Eindrücke, die den rastlosen Lebensweg der Erzählerin spiegeln.

Zwischen Nähe und Distanz
Das Bühnenbild von Nele Schiller verstärkt diesen Rhythmus: Zwei Tribünen – eine davon beweglich – rücken Publikum und Darstellende mal näher zusammen, mal weiter auseinander. Ein Vorhang dient als Projektionsfläche für Fotografien oder Videobilder des Publikums. So wird immer wieder deutlich, dass es auch um die Zuschauerinnen und Zuschauer geht – um deren eigene Haltung zu Exil, Sprache und Erinnerung.
Wenn das Publikum spricht
Besonders eindringlich und harmonisch sind die Momente, in denen die vierte Wand bricht: Das Publikum wird gefragt nach Erfahrungen mit Muttersprache und Mehrsprachigkeit. Die Sängerin Elif Batman, bekannt von der Osnabrück Blues Company und einer DSDS-Staffel, tritt als vermeintliche Zuschauerin auf, die ihre persönliche Biografie einbringt – ein kluger Kunstgriff, der Betroffenheit wie Gespräch eröffnet. Schauspielerisch überzeugt sie genauso wie gesanglich.
Eine neue Heimat in der Sprache
So wird die zentrale Botschaft Özdamars greifbar: dass die Sprache selbst zum Ort werden kann, wenn Herkunftsorte durch Gewalt verloren gehen. „Als ich anfing, Bücher zu schreiben, habe ich gar nicht darüber nachgedacht, in welcher Sprache ich schreiben sollte. Ich schrieb auf Deutsch“, lautet das programmatische Zitat, das den Abend rahmt.
Das Theater Osnabrücker bietet mit „Die Brücke vom Goldenen Horn“ einen eindrücklichen, klugen Auftakt der Spielzeit 2025/2026. Kein Abend der großen Dramenfiguren, sondern ein Abend der schnellen Szenen, der Projektionen und Fragen. Stark!
