Was der Stadtrat so alles beschließt… und was nicht!

Die gestrige Sitzung des Osnabrücker Rates war nicht ohne politische Sprengkraft. Schon im Vorfeld wurde ein gemeinsamer Antrag der Ratsmitglieder gestellt, auf dessen Bassis nun ein Abwahlverfahren der durch die Sekretariatsaffäre ins Rampenlicht gerückten Jutta Bott ermöglicht wird (siehe I-love-OS  hier und hier).
Mit Ausnahme einiger Sticheleien “zwischen den Zeilen”, bei denen u.a. FDP Ratsherr Thomas Thiele die für die Bott-Nominierung verantwortliche Personalberatung nochmal negativ ins Gespräch brachte, blieb die die “Causa Bott” jedoch in der öffentlichen Debatte weitestgehend außen vor.

Die offensichtliche Fehlentscheidung bei der Besetzung dieses Führungspostens schwebte dennoch wie ein Damoklesschwert über dem dritten Tagesordnungspunkt, bei dem es um die zweite Amtszeit des Stadtbaurates Griesert ging.
Hier musste Oberbürgermeister Pistorius eine schwere Schlappe kassieren, denn neben den Grünen, denen Katharina Pötter (CDU) vorwarf diese Stelle mit entsprechendem Parteibuch besetzen zu wollen, stellte sich auch die eigene SPD-Fraktion gegen den Oberbürgermeister.

Sitzung des Stadtrates Osnabrück

Im Rahmen einer Neuausschreibung wird sich Griesert nun gegen neue Bewerber durchsetzen müssen – wenn er es nicht vorziehen sollte sich diesem Verfahren zu entziehen und beispielsweise in die “freie” Wirtschaft oder eine andere Stadtverwaltung zu wechseln.
Die Kosten, die der Stadt entstehen würden, sollte 2013 ein neuer Stadtbaurat Wolfgang Griesert im Amt folgen, bezifferte Pötter auf mehr als 500.000 Euro.
Einzig die CDU und der Oberbürgermeister stellten sich gegen ein reguläres Ausschreibungsverfahren. Offenbar hatten die Befürworter einer einfachen Lösung zu hoch gepokert. Das im Falle Griesert zu viel “taktiert” wurde hatte Ralf ter Veer (Piraten), der konsequent ebenfalls für eine Ausschreibung votierte, bereits im Vorfeld der Ratssitzung öffentlich beanstandet (siehe I-love-OS).

Ein weiteres Thema der gestrigen Ratssitzung war die “Rehabilitation der Opfer der Hexenverfolgung in Osnabrück”, was bei manchem Besucher nur Kopfschütteln auslöste, angesichts der Jahrhunderte, die seit dieser unschönen Geschichte inzwischen ins Land gezogen sind. Der versammelte Rat fand Gefallen an dem Antrag der FDP – jedoch nicht ohne sich aus den Reihen der Grünen vor der Abstimmung erläutern zu lassen, dass es auch “männliche” Opfer der Hexenverfolgung gab. Sicher ein wichtiger Einwand und ein bislang unerreichter Höhepunkt des Gender-Mainstreaming in Osnabrück!

Männliche Zwangsprostituierte gibt es übrigens ebenfalls, denn auch zu einem Antrag auf Ausdehnung der Vergnügungssteuer auf Bordelle, Laufhäuser etc. hatte besagter Gender-Spezialist aus den Reihen der Grünen die wichtige Ergänzung, dass es ja auch ….männliche Sex-Arbeiter gäbe.
Warum ausgerechnet eine neue Vergnügungssteuer für Bordelle die Zwangsprostitution eindämmen soll, was CDU Fraktionschef Fritz Brickwedde mehrfach als Ziel des Antrags hervorhob, blieb im Unklaren.
Der Kostennachteil, der ordentlich versteuernden Bordellbetrieben zukünftig entstehen wird, dürfte das dunkle Geschäft der meist osteuropäischen Zuhälter doch noch attraktiver machen? Lediglich aus Reihen der Linken gab es ein paar Zwischenrufe zu dem offensichtlichen Design-Fehler in der Argumentation von Brickwedde, allerdings keinen klärenden Wortbeitrag.
Wer Zwangsprostituierte (egal welchen Geschlechts) für sich “arbeiten” lässt, wird kaum bei der Steuerzahlung ehrlich sein. Zudem, wie Frank Henning (SPD) betonte, die Vergnügungssteuer bislang auf Basis von per Fragebogen erhobener Zahlen ermittelt wird.

Einige Zuschauer des gut gefüllten Ratssitzungssaals schienen besonders gespannt auf den Tagesordnungspunkt 7.11, der erst wenige Tage vor der Ratssitzung auf die Agenda gehoben wurde (I-love-OS berichtete), und sie wurden nicht enttäuscht…
Der eilig nachgereichte Antrag wurde zumindest nicht ohne Schlagabtausch der Parteien durchgewunken. Katharina Pötter stellte sich erneut kämpferisch gegen die bunte Koalition der Center-Befürworter und verdeutlichte die seltsame Strategie des Investors mfi, der einst nur mit einer “grossen Lösung” von über 20.000qm eine Chance für das XXL-Center sah, plötzlich jedoch auch mit einer kleineren Lösung zufrieden sein könnte. Im deutlichen Widerspruch zu den wissenschaftlichen Analysen der CIMA, die bei einer kleinen Lösung die benötigte Sogwirkung vermisst, die aber notwendig sei um nicht lediglich Kaufkraft in der Innenstadt umzuverteilen.
Auch architektonisch habe sich offenbar über die Sommerpause einiges geändert, stellte Pötter fest. Die Johannisstraße ist nicht mehr integraler Bestandteil der Center-Pläne, sondern wird vor allem nur noch am Neumarkt berührt. Der rückwärtige Teil der Johannisstraße (u.a. Sinn-Leffers) wird nach den neuen Plänen nicht mehr aufgewertet – sondern dürfte noch mehr ins Abseits geraten.
Stadtrat Hagedorn von den Grünen betonte, dass die derzeitige Planung noch nicht “der Weisheit letzter Schluss” sei. Frank Henning von der SPD sieht den – nach der lebhaften Diskussion positiv und gegen die Stimmen der CDU verabschiedeten Aufstellungsbeschluss – als Signal: “es geht weiter”!
Wulf-Siegmar Mierke von der UWG erklärte, er sei froh, dass ein Investor auch bei einem nun kleinerem ersten Bauabschnitt Geld in die Hand nehme. Und Thomas Thiele von der FDP verteidigte den so kurzfristig auf die Tagesordnung ehobenen Aufstellungsbeschluss damit, dass man sich so nun dem Thema nähern könnte.

Was mit keinem Wort in der öffentlichen Debatte zur Sprache kam, war ein Bauantrag der Firma L+T, der offensichtlich vor einiger Zeit gestellt wurde. Mit den beantragten Baumaßnahmen will L+T die im Rahmen des “Rauschen Coup” an der Johannisstraße erworbenen Gebäude für einen Nachmieter attraktiver gestalten.
Dieser Bauantrag kann durch den gestern beschlossenen Aufstellungsbeschluss tatsächlich blockiert werden. Denn darin heißt es:

“Mit dem Aufstellungsbeschluss ist grundsätzlich auch die Anwendbarkeit plansichernder Instrumente, wie Erlass einer Veränderungssperre oder die Zurückstellung von Baugesuchen gegeben.”

“Grundsätzlich … gegeben” bedeutet aber nicht, daß die Verwaltung diese Optionen auch tatsächlich nutzen muß. Und so war eine “Veränderungssperre”, eine “Zurückstellung von (bestehenden oder zukünftigen) Baugesuchen” oder der bereits bestehende Bauantrag von L+T bei der gestrigen Ratssitzung kein Thema!

Auch wenn die Verwaltung nun die Möglichkeit hat mit einer “Veränderungssperre” die Planung zu sichern, dürften die Verwaltungsfachleute sich dieses Vorgehen noch genau überlegen. Immerhin würde in einem solchen Fall L+T einen Schadenersatzanspruch gegen die Stadt geltend machen können. Schließlich erfolgte sowohl der Kauf der Häuser an der Johannisstraße als auch der Bauantrag auf Basis einer noch nicht vorhandenen Veränderungssperre und eines gültigen Bebauungsplanes.
Der Aufstellungsbeschluß wurde gestern zwar eilig “durchgepeitscht”, womöglich aber doch zu spät, um Schaden von der Stadt fernzuhalten – sollte man L+T damit jetzt wirklich die sprichwörtlichen Steine in den Weg legen wollen.

Als kritischer Leser der Tagespresse kann man sich vor diesem Hintergrund über die publizistische Aufarbeitung durch die NOZ nur wundern.

Ein online verfügbarer Artikel von NOZ-Mitarbeiter Wilfried Hinrichs (der bei der Beschlussfassung gar nicht vor Ort im Rathaus anwesend war) stellt die “Veränderungssperre”, die eben nicht eigentlicher Gegenstand des Antrags um den Aufstellungsbeschluss war, und auch nicht in den Redebeiträgen thematisiert wurde, in den Mittelpunkt und titelt “L+T Chef Rauschen darf vorerst nicht investieren”.
Noch weiter von der Realität entfernt titelt die NOZ auf ihrer Facebook-Seite “der Rat Osnabrück hat beschlossen , dass der L+T-Chef seine Gebäude am Neumarkt erst mal nicht umbauen darf”…

NOZ.de

Wohlgemerkt, die Veränderungssperre ist eine mögliche Konsequenz aus dem Aufstellungsbeschluss, aber nicht zwangsläufig.
Eine Veränderungssperre wurde auch mit keinem Wort in der Ratssitzung thematisiert. Und angesichts der möglichen Schadenersatzforderungen durch L+T dürfte sich die Verwaltung eine entsprechende Entscheidung durchaus noch überlegen…

Auch der Blogger zweifelt nicht daran, dass die Verwaltung nun L+T die Nutzung der Gebäude in der Johannisstraße erschweren wird. Das jedoch ist Spekulation – und war gestern nicht Gegenstand der Ratsdebatte oder einer Beschlussfassung, auch wenn die Schlagzeilen der NOZ einen anderen Eindruck erwecken!

HP

Ergänzung (12:05): aufgrund eines Leser-Kommentars auf Seiten der NOZ, der auf dieses Blog Bezug nimmt, sei folgendes hinzugefügt: die NOZ bzw. das Medienhaus NOZ war wie üblich mit zahlreichen Kollgen (OS1.TV und Printredaktion) vor Ort; der Hinweis darauf, dass Wilfried Hinrichs bei Erörterung von Top 7.11 nicht anwesend war ist bitte nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die beiden Headlines (siehe Screenshot) den Eindruck vermitteln, mit Verabschiedung des Aufstellungsbeschlusses sei vom Rat bewusst (und nach öffentlicher Diskussion) der Fa. L+T ein Bauvorhaben verhindert worden; das mag allerdings die “hidden Agenda” gewesen sein. In der NOZ wird dies auch durch W. Griesert weitestgehend für die Verwaltung bestätigt.
Selbstverständlich ist niemandem zuzumuten (es sei denn er ist Ratsfrau/-herr) die gesamte Ratssitzung auszuhalten – auch kann die Berichterstattung darüber arbeitsteilig erfolgen.
Jetzt ist aber auch gut… also bitte keine falsche Kritik in meine Blogpostings hineininterpretieren. Ich freue mich zwar über die Nennung von Blog und/oder URL, nicht jedoch über falsche oder voreilige Schlüsse. Wenn nicht die NOZ so eifrig über die Pläne am Neumarkt berichten würde, wäre das Thema längst aus dem öffentlichen Fokus verschwunden. Für Ergänzungen und andere Meinungen gibt es ja Blogs… (leider in OS viel zu wenige).
HP


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Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann gründete die HASEPOST 2011 unter dem Titel "I-love-OS". Die Titelgrafik der HASEPOST trägt dieses ursprüngliche Motto weiter im Logo. Die Liebe zu Osnabrück treibt Heiko Pohlmann als Herausgeber und Autor an. Neben seiner Tätigkeit für die HASEPOST zeichnet der diplomierte Medienwissenschaftler auch für zwei mittelständische IT-Firmen als Geschäftsführer verantwortlich.

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