Wie geht man mit den dunklen Kapiteln der Geschichte um, wenn ihre Relikte auf Flohmärkten als Kuriositäten gehandelt werden? Die neue Ausstellung „Ariel Reichman. Keiner soll frieren!“ im Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück stellt genau diese Frage – und konfrontiert Besucherinnen und Besucher eindringlich mit Erinnerung, Empathie und der Macht von Symbolen.
Ausstellungsstücke eigens für Osnabrück
Der 1979 in Südafrika geborene und heute in Berlin lebende Künstler Ariel Reichman setzt sich in seiner eigens für Osnabrück entwickelten Ausstellung mit dem öffentlichen Umgang mit nationalsozialistischen Devotionalien auseinander. Der Ausgangspunkt war eine persönliche Irritation: Beim Bummel über einen Markt in Sofia stieß Reichman auf NS-Symbole – offen ausgestellt, als wären sie bedeutungslos. „Das war ein komisches Gefühl“, beschreibt er diesen Moment der Verstörung. Es war der Impuls, aus dieser Verstörung künstlerische Konsequenzen zu ziehen.

Radikaler Transformationsprozess
Reichman begann, NS-Memorabilien gezielt über Onlineplattformen wie eBay oder Amazon zu erwerben. Doch er belässt es nicht bei der Sammlung: Die Objekte durchlaufen einen radikalen Transformationsprozess. Sie werden im Feuer geschmolzen, im Wasser abgekühlt (vergleichbar mit Bleigießen) – ein symbolischer Akt der Reinigung, der Zerstörung und der Neuschöpfung. Entstanden sind daraus skulpturale Werke von roher, fast archaischer Präsenz, begleitet von zwei dokumentarischen Filmen, die den Prozess sichtbar machen.

Wachsblumen als NS-Propaganda
Doch Ariel Reichman bleibt nicht bei der Zerstörung. Seine Kunst ist ebenso ein Plädoyer für Empathie und Verletzlichkeit. In Fotografien zeigt er zarte Papier- und Wachsblumen – auf den ersten Blick poetisch, bei genauerem Hinsehen eine kritische Referenz an das so genannte Winterhilfswerk der Nationalsozialisten. Auch die Ausstellungstitelzeile „Keiner soll frieren!“ entstammt dieser perfiden Propaganda. Die Ausstellung fragt: Was bleibt von solcher Vergangenheit haften – und wie harmlos darf Erinnerung sein?

Sonder- und Lichtinstallation
Besonders eindrucksvoll ist die Sonderinstallation „Space of Mourning“, ein Raum des kollektiven Innehaltens, inspiriert von der jüdischen Trauertradition der Schiwa. Außerdem lädt eine interaktive Lichtinstallation zur stillen Reflexion ein: Besucherinnen und Besucher beantworten per Knopfdruck die Frage „Am I safe?“. Ihre Antwort – „I am safe“ oder „I am not safe“ – erscheint anschließend leuchtend auf der Außenfassade des Museums. Ein starkes Zeichen für die Fragilität von Sicherheit und die Gegenwärtigkeit von Angst.

Museumsdirektor Nils-Arne Kässens betont: „Wir wollen mit der neuen Ausstellung unsere Dauerausstellung beleben und Erinnerungskultur erhalten.“ Und Patricia Mersinger vom Kulturamt lobt die Ausstellung als „perfekte Verbindung von Friedensarbeit und historischem Bewusstsein.“
„Keiner soll frieren!“ ist keine leichte Ausstellung. Aber sie ist eine notwendige – gerade in einer Stadt wie Osnabrück, die sich dem Frieden verpflichtet hat. Die Ausstellung ist noch bis zum 10. Mai 2026 im Felix-Nussbaum-Haus zu sehen.