Untreue im Rathaus – da gibt es sicher einige Fälle, aber doch bitte nicht bei der Beamtenbesoldung!

Die erste – und vielleicht einzige – Amtszeit des Boris Pistorius als Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück ist wohl (noch) nicht als sonderlich bemerkenswert zu bezeichnen. Immerhin hat er es geschafft, dass schon weit vor dem Ende seiner regulären Amtszeit über seine Nachfolge spekuliert wird – aktuell beflügelt durch eine kurios anmutende Anklage.

Angesichts einer “unangenehmen” Kräfteverteilung im Rat, mit der CDU als zahlenmäßig stärksten Fraktion, die jedoch gegen eine Koalition aus Rot/Grün nicht “anstinken” kann, gibt es sicher auch ganz rationale Gründe eine baldige Neuwahl des Stadtoberhauptes herbeizusehnen. Besonders problematisch an der Personalie Pistorius ist, dass ihm oft – zuletzt im Fall Griesert – die Rückendeckung der eigenen Partei fehlt, was die politische Arbeit natürlich schwierig macht.
Die kürzlich erfolgte Aufnahme in das SPD-Schattenkabinett für die Landtagswahl 2013 hat bezüglich einer möglichen Neubesetzung bereits einige Fantasien freigesetzt – auch wenn ein Wahlsieg der SPD in Niedersachsen alles andere als sicher und ein Wechsel von Pistorius nach Hannover keineswegs wahrscheinlich ist*.

Die heute Nachmittag von der NOZ verbreitete Meldung über eine Anklage gegen OB Boris Pistorius wegen Untreue, taugt aber nicht für kommunalpolitische Ränkespiele und Spekulationen.

Auch ist “NOZ-Bashing”, wie es im Kommentarbereich der Online-NOZ erfolgt, unangebracht – BILD-Vergleiche sind wirklich fehl am Platz!
Der von Franz-Josef Raders verfasste Artikel geht mit der gebotenen Sachlichkeit an das Thema und unterschlägt keineswegs, daß Pistorius nicht der einzige Beklagte ist, und hier über alle Parteigrenzen hinweg ein scheinbares Problem juristisch aufgearbeitet werden soll. So müssen sich wohl auch der frühere Landrat Manfred Hugo (CDU) und der ehemalige Erste Kreisrat Reinhold Kassing (CDU), sowie die Personalchefin der Stadtverwaltung Osnabrück, Karin Detert, im Zusammenhang mit der Zahlung von Leistungszulagen an Kommunalbeamte vor Gericht verantworten.
Dumm nur für Pistorius, dass er der ranghöchste und dazu ein noch im Amt befindlicher Verantwortlicher ist.

NOZ.de Boris Pistorius - Angeklagt

In der Summe geht es um 370.000 Euro, die in den vergangenen Jahren an zu viele (erlaubt wären nur 15%) der städtischen Beamten als Leistungsprämie gezahlt wurden.
Glaubt man den Recherchen der NOZ, dann betrug “die jemals im Landkreis Osnabrück an einen Beamten ausgezahlte Höchstprämie (…) 2010 gut 600 Euro”.

Was für (lächerliche) Summen – und was für eine unfaßbare (weil nicht vorhandene) kriminelle Energie und Bereicherung der nun beschuldigten Kommunalpolitiker.

Reden wir doch mal tacheless wo es in Osnabrück “gefühlte Untreue” und eine leider auch mangelnde journalistische Aufbereitung gibt:

  • In der OPG-Affäre (vergleiche I-love-OS) ging es um mehrere hunderttausend Euro, die unter den Augen von Pistorius und vor allem seinem damaligen Finanzchef Baier von seinen “Spitzen-Parkwächtern” illegal hinzu-verdient wurden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wohl noch immer, doch nicht gegen den Oberbürgermeister, der diese besonders talentierten “Kassierer” im Amt behielt; warum eigentlich nicht?
    Hier hat sich die NOZ in der Berichterstattung seltsam zurückhaltend verhalten,  zeitweise kritische Stellungnahmen der Opposition gelöscht (siehe I-love-OS) und dann doch wieder auferstehen lassen; ein aus der Wulff-Zeit bekanntes Phänomen bei kontroversen Themen, siehe hier.
  • Die inzwischen vollzogene Kurzzeit-Engagement der Jutta Bott wird die Stadt einige hunderttausend Euro an Versorgungsbezügen kosten – I-love OS berichtete über die Eröffnung des Disziplinarverfahres übrigens bereits am 28. August, die NOZ konnte sich dem sich abzeichnenden Skandal erst knapp eine Woche später nicht mehr entziehen und informierte reichlich verzögert am 04. September über das Disziplinarverfahren.
  • Obwohl das maßgeblich vom Hamburger Theo Bergmann** vorangetriebene Neumarkt-Einkaufscenter von weiten Teilen der lokalen Einzelhändler abgelehnt wird und sich in der einzigen zum Thema durchgeführten Umfrage eine deutliche Mehrheit der Bürger dagegen aussprach, boxt OB Pistorius in (sonst seltener) Eintracht mit seinen Genossen dieses Thema unbeirrt durch – und wird dabei wohlwollend von der NOZ begleitet, die diesem Prestige-Projekt der lokalen Sozialdemokraten sogar eine Online-Sonderseite einrichtete, während dem Alternativprojekt eines Hase-EKZ lediglich ein einzelner Artikel (NOZ vom 04.10.) gewidmet wurde, aus dem jedoch ungeheuerliches hervorgeht: OB Pistorius war frühzeitig auch in dieses Alternativprojekt eingebunden, doch fand es wohl nicht seine Gnade… wie sonst ist die einseitige Konzentration von SPD und NOZ auf das vielfach ungeliebte Neumarkt-Einkaufszentrum zu verstehen?
  • Es gäbe noch viele andere Reizthemen, bei denen der Steuerzahler schnell das böse Wort “Untreue” in den Mund nehmen könnte, Stichworte sind: Rosenplatz-Betonierung Renovierung, bislang gescheiterte Limberg-Konversion, nicht umgesetzte Pläne für den Güterbahnhof (ARENA!), millionenteure Renovierung der Stadthalle, ideologiebehaftete Schulpolitik etc.

Nein, in einer leistungs-belohnenden Prämienvergabe an Beamte, kann man als Bürger nur schwer den Tatbestand der Untreue erkennen, Juristen und der politische Gegner mögen das allerdings anders sehen.
Pikant wird die Angelegenheit dadurch, dass Pistorius – sollte er tatsächlich Innenminister werden – sich vom Angeklagten zum Aufseher über die Kommunen wandeln würde, eine paradoxe Situation träte ein.
Ein zeitnah und fair den Umstand erläuternder NOZ-Artikel ist schließlich nicht als “boulevardesk” zu verurteilen – im Gegenteil, dass ist schnelle und sachlich fundierte Information, bei der man sich endlich mal wieder über sein Zeitungs-Abo freuen kann!


*Update 23.10., 04:30: hier bei www.Wahlrecht.de die aktuellen Prognosen zur Landtagswahl 2013… das wird noch spannend für alle Beteiligten

**Update 26.10., 20:30: lt. NOZ.de ist das Insolvenzverfahren gegen Th. Bergmann “vom Tisch”

HP

 


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Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann gründete die HASEPOST 2011 unter dem Titel "I-love-OS". Die Titelgrafik der HASEPOST trägt dieses ursprüngliche Motto weiter im Logo. Die Liebe zu Osnabrück treibt Heiko Pohlmann als Herausgeber und Autor an. Neben seiner Tätigkeit für die HASEPOST zeichnet der diplomierte Medienwissenschaftler auch für zwei mittelständische IT-Firmen als Geschäftsführer verantwortlich.

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