Die Osnabrücker Fleischerei Witte in der Meller Straße setzt auf Tierwohl, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung. Doch seit Kurzem hat Andreas Witte zu kämpfen. Vorwürfe der Tierrechtsinitiative Animal Rights Watch (Ariwa), die sich auf heimlich aufgenommene Aufnahmen aus zwei sogenannten Aktivställen in Melle im Landkreis Osnabrück stützen, gefährden nicht nur seinen Ruf – sie gefährden seine Existenz.
Innovative Haltungsform: Aktivställe
Ende Mai veröffentlichte Ariwa Videomaterial, das angeblich Missstände in 21 Schweineställen in ganz Deutschland zeigt. Darunter sind auch zwei Aktivställe in Melle. Die Vorwürfe sind unerwartet, denn bei Aktivställen handelt es sich um eine besonders tierfreundliche Haltungsform, die den Schweinen weit mehr Bewegungsfreiheit, Abwechslung und Rückzugsmöglichkeiten bietet als die konventionelle Massentierhaltung. Entwickelt wurde das Konzept Aktivstall von Landwirtin Gabriele Mörixmann aus dem Osnabrücker Landkreis und einige Schweinebauern haben ihrem Beispiel gefolgt – neun Aktivställe gibt es in der Region bereits, die eng miteinander im Austausch stehen und die innovative Haltungsform stetig ausbauen. Die Aktivställe bieten Schweinen und Ferkeln Auslauf, verschiedene Bereiche zum Ruhen, Spielen und Fressen. Ziel sind Bedingungen, die eine artgerechtere Haltung ermöglichen sollen und diese mit Wirtschaftlichkeit verknüpft.
Schwere Vorwürfe
Ariwa filmte illegal auf zwei Höfen mit Aktivställen in Melle und wirft erhebliche Missstände vor. Die Lokalpresse berichtete schnell, erste Stimmen von Landwirten wiesen die Vorwürfe zurück. Auch Andreas Witte, der sein Schweinefleisch zu 100% aus Aktivställen der Region bezieht, zeigt sich tief getroffen: „Wir haben nichts zu verbergen“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Ställe sind offen, jeden Samstag gibt es Führungen, die ich teilweise selbst leite. Den Schweinen geht es gut.“ Witte ist überzeugt: Die Aufnahmen wurden manipuliert. In einem Fall habe Ariwa einen konventionellen Stall gefilmt, denn der Hof befindet sich im Umbau zum Aktivstall. „Das wurde gezielt ausgenutzt“, sagt Witte.
Neben der medialen Debatte rund um die Ariwa-Videos kam es am Samstag (7. Juni) in der Osnabrücker Innenstadt zu einem weiteren Vorfall: Aktivisten der Gruppe DIES IRAE hängten am Kamp Plakate auf, die wie Kinowerbung gestaltet sind – doch sie zeigen das qualvolle Sterben von Schweinen und nehmen Bezug auf einen Vorfall in Lohne im Landkreis Osnabrück. Für Witte ein weiteres Beispiel für gezielte Stimmungsmache gegen Schweinelandwirtschaft und die Verarbeitung und Konsum des Fleisches.
Fleischerei Witte hat hohe Verluste
Seit der Veröffentlichung der Videos sind die Einnahmen der Fleischerei Witte drastisch eingebrochen. Wie lange er das finanziell noch tragen kann, ist ungewiss. Der Schaden trifft nicht nur ihn persönlich, sondern auch das, was seine Familie über vier Generationen aufgebaut hat. Dabei sei sein Betrieb nicht irgendein Fleischereibetrieb, sondern ein echtes Leuchtturmprojekt: Als erste gemeinwohl-ökonomische Fleischerei Deutschlands ist Witte Mitglied im Verein Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland (GWÖ), der sich für ein neues, wertebasiertes Wirtschaftsmodell einsetzt.
Bewertet werden vier Aspekte: Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz und Mitbestimmung. Nur wer in all diesen Bereichen und in der Lieferkette – von Lieferanten, Eigentümer, Mitarbeitern, Kundschaft und im Sinne der globalen Gemeinschaft – aktiv zum Gemeinwohl beiträgt, wird positiv eingestuft. Genau das trifft auf Wittes Betrieb zu. „Die Haltung übertrifft die rechtlichen Bestimmungen um ein Vielfaches, daher auch die positive Bewertung der GWÖ“, so Witte. Zur Einordnung: Wer die gesetzliche Mindeststandards erfüllt, erhält in der GWÖ-Bewertung lediglich eine neutrale Einstufung.

Für Witte sind die Vorwürfe von Ariwa eine fundamentale Bedrohung – nicht nur für seine Überzeugungen und sein Geschäft, sondern für ein gesamtes Wirtschaftskonzept, das versucht grundlegend umzudenken und Wirtschaftlichkeit mit Tierwohl zu verknüpfen. Er verurteilt die Vorwürfe der Aktivistinnen und Aktivisten scharf: „Ein ganzes System wird hier bedroht, fast terrorisiert.“ Andreas Witte hofft, dass mehr Unternehmerinnen und Unternehmer den Weg der GWÖ mitgehen – für mehr Nachhaltigkeit, Fairness und Menschen- und Tierwohl. Doch damit dieses Ziel erreicht werden kann, brauche es Vertrauen in Betriebe und den Glauben, dass nicht alle Landwirte und Fleischereien Gewinnmaximierung über Tierwohl stellen.
Stand der GWÖ am Tag der Niedersachsen in Osnabrück
Am Tag der Niedersachsen (29. Bis 31. August) wird die Gemeinwohl-Ökonomie mit einem eigenen Informationsstand in der Großen Straße vertreten sein. Dort möchte der Verein für sein alternatives Wirtschaftsmodell werben, das jede Firma und auch Privatperson umsetzen kann – ein Modell, das nicht auf Gewinnmaximierung um jeden Preis, sondern auf Fairness, Transparenz und ethisches Wirtschaften setzt.