Morgen-Kommentar: Corona darf uns nicht spalten

Wie gespalten ist Deutschland wirklich? Auf der einen Seite scheinen Verschwörungstheoretiker, Möchtegern-Virologen sowie Youtube-Historiker zu stehen und auf der anderen die „Systemkonformen“. Also “Aluhüte” und “Covidioten” gegen “Schlafschafe”, wenn man die abfälligen Bezeichnungen der Extremen in der Diskussion verwenden will.

Am vergangenen Freitag nahm einer unserer Autoren Bezug auf die „bürgerkriegsähnlichen Zustände“ in Berlin im Rahmen einer Demonstration gegen das neue Infektionsschutzgesetz. Ein anderer Gastautor vertrat am folgenden Tag eine eher gegensätzliche Position und stellt klar, dass auch Meinungsfreiheit ihre Grenzen hat.

Doch was ist mit den Unentschiedenen? Den Menschen die sich „irgendwo dazwischen“ befinden? Ich bin mir sicher, das ist die eigentliche Mehrheit – mit großem Abstand zu denen, die die Solidarität untergraben, die wir im Frühjahr noch hatten.

Ein Kommentar von Tatjana Rykov

Die Bundes- und Landesregierung hat innerhalb der letzten Monate vieles versäumt, das steht fest. Pläne zur schnelleren Digitalisierung von Schulen wurden augenscheinlich so lange aufgeschoben, bis die „Zweite Welle“ angerollt kam – viele Schulen aus Stadt und Landkreis Osnabrück mussten und müssen zeitweise in Quarantäne versetzt werden und sind es immer noch. Gastronomen, die teilweise beträchtliche Summen investiert haben, um Hygieneanforderungen zu genügen, mussten kurzerhand wieder schließen – und haben weiterhin keine Gewissheit darüber, wann sie wieder öffnen dürfen. Doch nicht nur Gastronomen hängen finanziell am seidenen Faden: Auch Betreiber von nahezu sämtlichen Freizeiteinrichtungen müssen um ihre Zukunft bangen. Die „November-Hilfen“ sind hierfür nur ein kleines Trostpflaster.
Aber – und das muss im ganzen Corona-Trubel auch beachtet werden – die Bundes- und Landesregierung versucht, so viele Menschen wie möglich am Leben zu halten. Liest man die Kommentarbereiche einiger Tageszeitungen, die der HASEPOST bei Facebook nicht ausgeschlossen, wirkt es so, als hätten einige Köpfe das aus den Augen verloren.

Rückbesinnung auf solidarische Zeiten

„Flatten the Curve“ war von Beginn der Pandemie ein weltweites Ziel, um das Infektionsgeschehen einzudämmen und die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten. Die Devise war und ist: „Stay at home.“ Kontakte sollen, so weit wie es nur möglich ist, runtergefahren werden, um so wenig Corona-Neuinfektionen wie möglich herbeizuführen. Das große Ziel immer vor Augen, dass sich das Coronavirus langsamer ausbreitet und vor allem, dass die Krankenhäuser und Intensivstationen nicht überlastet werden. Denn so wie jede andere Infektion, kann auch das Coronavirus zum Tod führen. Menschen sterben vielleicht nicht direkt an der Virusinfektion; sie sterben an Organversagen, Herzinfarkten und Vielem mehr. Auch Lungenentzündungen, die durch eine Corona-Infektion ausgelöst werden können, können zum Tod führen. Macht es also wirklich einen Unterschied, ob eine Person mit oder an dem Coronavirus verstorben ist?
Ist es im Hinblick auf die Angehörigen von Verstorbenen wirklich nötig, zu fragen, ob der Leichnam obduziert worden ist und mit welchem Testverfahren das Virus im Blut nachgewiesen wurde? In diesem Jahr wurden europaweit überdurchschnittlich viele Todesfälle gemeldet – ein Zusammenhang mit dem Coronavirus ist also sehr naheliegend. Und natürlich können Menschen auch an Grippe oder an einem Autounfall sterben, aber sollten wir nicht gemeinsam dafür einstehen, dass möglichst viele ihren Opa, ihre Oma oder auch ihr Kind in ihrem Leben behalten können?

Alle sind verantwortlich

Menschen am Leben halten: Nichts anderes versuchen Bund- und Länder. Ja, ihr Vorgehen dabei mag manchmal aktionistisch wirken und auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen kann dabei sicher immer wieder in Frage gestellt werden. Doch wir befinden uns in einer sozialen und gesundheitlichen Krise, die nicht einfach im Handumdrehen gelöst werden kann. Den enormen Anstieg an Corona-Neuinfektionen zu Herbstbeginn haben bestimmt nicht nur Politiker zu verantworten, die sich nicht an ihre eigenen Maßnahmen halten, sondern auch Feierwütige, Schulkinder und Fabrikarbeiter, die nur selten im vorgegebenen Mindestabstand arbeiten können.

Wir sitzen alle im gleichen Boot, aber wir dürfen dabei das Ziel nicht aus den Augen verlieren: Neuinfektionen vermeiden, Infektionsketten unterbrechen die Krankenhäuser nicht übermäßig belasten. Deshalb würde auch ein Böllerverbot zu Silvester in meinen Augen Sinn machen. Als Feuerwerksfanatiker macht es auch mich traurig, in diesem Jahr mal keine Raketen in die Luft zu schießen. Aber wenn es auch nur die Schicht von einem Pfleger oder von einem Arzt in der Nacht zum 1. Januar 2021 erleichtert, dann ist es das wert, oder? Das Jahr 2020 war schon entbehrungsreich genug. Zwei Seiten gegeneinander auszuspielen und von einer „gespaltenen Gesellschaft“ zu reden, macht die Gesamtsituation auch nicht leichter. Die Corona-Pandemie darf nicht politisiert werden und unsere Gesellschaft polarisieren; schließlich stehen Menschenleben auf dem Spiel.

 


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„Denken ist schwer, darum urteilen die meisten” (C. G Jung).
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Titelfoto: Hammed Khamis, 18.11.2020, Berlin


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Tatjana Rykov
Tatjana Rykov
Tatjana Rykov startete im Sommer 2019 mit einem Praktikum bei der HASEPOST. Seitdem arbeitete sie als freie Mitarbeiterin für unsere Redaktion. Nach ihrem Bachelor in Geschichte und Soziologie an der Universität Osnabrück ist sie seit 2023 wieder fest im Redaktionsteam. Derzeit schließt sie ihren Fachmaster in Neuste Geschichte an der Uni Osnabrück ab. Privat trifft man sie oft joggend im Park oder an ihrer Staffelei.

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