ich habe mich in meinem politischen Wirken immer für die Verhältnismäßigkeit der Mittel bei der Umsetzung von Prozessen zur Verbesserung der Lebensumstände unserer Bürger bemüht. Die Durchsetzung dieses Prinzips ist mir oft nicht leichtgefallen, denn Macht verführt schnell zur Unverhältnismäßigkeit, zur Überschätzung, zur Ungerechtigkeit. Vor diesen Verführungen ist die politische Macht natürlich nicht gefeit, ganz im Gegenteil, grade sie neigt am schnellsten zur Korrumpierbarkeit, zum „Laissez faire“ (wenn es ins eigene Konzept paßt), zur Bevorzugung der eigenen Klientel und zum Ausnutzen des eigenen Vorteils. In einer Demokratie ist dieses Verhalten überhaupt nicht akzeptabel, es führt zu der vielbeschworenen Gleichgültigkeit gegenüber dem politischen Geschehen, schlimmstenfalls mündet es in Politikverdrossenheit und Ablehnung des politischen Systems.

Man mag es kaum glauben, aber zur Zeit befinden wir uns mitten im Sommerloch. Eigentlich dürfte nichts los sein auf der Welt, alle sind im Urlaub, chillen am Strand oder kraxeln in irgendwelchen Bergen rum. Dafür ist trotzdem ganz schön viel los, an allen Ecken und Enden passiert was, ob in Nizza, in der Türkei, auf dem Parteitag der Republikaner in den USA. Und auch in unserem beschaulichen Deutschland rücken die Einschläge näher, immerhin scheinen sich bei uns jetzt schon „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ von einem auf den anderen Tag zu radikalisieren und im Namen eines mir immer merkwürdiger erscheinenden Glaubens mit einer Axt auf ihre Mitmenschen loszugehen. Dafür will natürlich niemand die Verantwortung übernehmen, hinterher ist es ja meistens keiner gewesen. Stattdessen wirft man lieber ein paar Nebelkerzen und zettelt eine in meinen Augen völlig überflüssige und sinnlose Diskussion über den finalen Rettungsschuss an. Oder man zeigt sich besorgt über den steilen Anstieg von Menschen aus Nordafrika in deutschen Gefängnissen. Und man erläutert uns in bester Oberlehrermanier, daß sich deren Anteil an verurteilten Schwerstkriminellen in den letzten fünf Jahren verdoppelt habe, und zwar von 600 auf über 2300 (was nach Adam Riese eigentlich eher eine Verdreifachung bedeutet, aber diese Feststellung würde einen Teil der Bevölkerung wohl zu sehr verunsichern). Konsequenzen möchte aus dieser unschönen Entwicklung aber niemand ziehen. Schließlich ist von oberster Stelle angeordnet worden, daß wir es schaffen. Was auch immer.

Wenn ich diese Zahlen lese, dann denke ich an ein Gespräch mit einem Osnabrücker Gastronomen, das ich vor ein paar Tagen geführt habe. Er erzählte mir, daß er seit dem Herbst des letzten Jahres bis zum Frühjahr 2016 jeden Monat mit Einbruchsdiebstählen zu kämpfen gehabt habe. Und zwar in einem Ausmaß und mit einer Brutalität, die er in seinem mehr als 30jährigen Berufsleben in dieser Form noch nie erlebt hatte. „Aber ob du es glaubst oder nicht“, sagte er zum Schluß, „seitdem die Balkanroute dicht ist, hat das aufgehört. Seit Mai ist alles ruhig. Ich hatte schon keine Lust mehr, ich habe zum ersten Mal in meinem Leben ans Aufhören gedacht. Jetzt hoffe ich natürlich, daß es wirklich aufgehört hat mit den Einbrüchen. Dann brauche ich nicht aufzuhören.“ Ich weiß nicht, ob die Einbruchserie bei diesem Gastronomen mit irgendwelchen Öffnungen oder Schließungen der Balkanroute zu tun hat. Er erschien mir aber irgendwie beruhigt, weil er seit einigen Wochen das Gefühl bekommt, daß der Staat die Kontrolle über das eigene Handeln zurückgewinnt und wieder besser in der Lage zu sein scheint, seine Bürger zu schützen. Es steht doch in keinem Verhältnis, das staatliche Handeln auf die Bewältigung einer wie auch immer gearteten Flüchtlingskrise zu konzentrieren, aber die eigenen Bürger mit den Folgeerscheinungen dieser Krise alleine zu lassen. Und damit meine ich noch nicht einmal die unsägliche Silvesternacht von Köln (oder Düsseldorf, Hamburg, Bielefeld etc.), sondern die in den Augen der Politiker eher kleinen Probleme wie den Anstieg von Einbruchdiebstählen, Körperverletzungen, Vergewaltigungen, sexuellen Belästigungen, Beleidigungen und Bedrohungen. Das mag für Angela Merkel und ihre Konsorten in keinem Verhältnis zu den großen Fragen der Weltpolitik stehen, aber für die Bürger vor Ort erscheinen diese Dinge schlicht und einfach bedrohlich, manchmal existenzgefährdend, manchmal gefährlich für die Unversehrtheit von Leib und Leben. Wenn über diese Ängste mit Allerweltsparolen der Sorte Gauck oder unbeholfenen Beschwichtigungsversuchen von Innenminister Thomas de Maiziere larmoyant hinweggeredet wird, dann hat die Politik wirklich jedes Verhältnis zu den Sorgen und Problemen ihrer Bürger verloren.

Auch in Osnabrück haben die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik so ihre Probleme mit der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Weit mehr als eine Million Euro wurden im vergangenen Jahr in der Hasemetropole durch das Verteilen von Knöllchen an Falschparker umgesetzt, aber grade mal 10 Euro spülte die Verfolgung von Umweltverschmutzung in Form von achtlos durch die Gegend geschmissenem Müll in die leidgeprüfte Stadtkasse. Wie oft und in welcher Höhe wurden eigentlich die Fahrradfahrer zur Kasse gebeten, die bevorzugt bei Dunkelheit ohne Licht und zu jeder Tageszeit ohne Kenntnis der Straßenverkehrsordnung durch die Gegend fahren? Und ihre Fahrräder am liebsten dort abstellen, wo es ihnen grade sinnvoll erscheint. Ich habe Verständnis für die Jungs und Mädels vom OS-Team. Wie jeder gute Deutsche tun auch sie nur ihre Pflicht. Aber muß die sich auf das unkreative Klemmen von Strafzetteln hinter unschuldige Scheibenwischer konzentrieren? Gerecht ist das alles nicht. Es steht auch in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen alltäglichen Gefährdung und Belästigung durch durchgeknallte Radfahrer und Mitmenschen, die scheinbar ihre Freude daran haben, ihren Müll achtlos in der Gegend zu verteilen. Na ja, wenn es schon nicht gerecht und verhältnismäßig ist, so ist es doch wenigstens lukrativ, wie die aktuellen Zahlen zeigen. Und warum soll es Osnabrück besser als dem Rest von Deutschland gehen. Politik neigt zur Unverhältnismäßigkeit, im Großen und im Kleinen. Wie schrieb doch einst ein weiser deutscher Dichter: „Der Krug geht solange zur Brunnen, bis er bricht.“

(Dieser Text entstand am Vorabend vor dem feigen Anschlag in München)

Ich wünsche allen HASEPOST-Lesern ein Wochenende, an dem es nichts zu kritisieren gibt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Ihr

Justus Möser

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