Mösers Meinung – zum Thema “Miteinander reden”

Wer hört uns noch zu, wenn uns der Schuh drückt?

Guten Abend,

haben Sie nicht auch immer öfter das Gefühl, daß die Menschen zu wenig miteinander reden? Daß ein vernünftiges, zielorientiertes, persönliches Gespräch von Angesicht zu Angesicht immer seltener stattfindet? Daß all das, was uns umtreibt, was uns beschäftigt, was unser Menschsein ausmacht, nur noch in sozialen Netzwerken oder bestenfalls am Handy stattfindet. Die direkte Ansprache scheinen wir verlernt zu haben. Es mag an meinem Alter liegen, daß ich bei einer Unterhaltung mit jungen Menschen (dazu zähle ich alle bis 35 Jahre, danach beginnt das Mittelalter) den Eindruck habe, daß es dieser Generation schwerfällt, etwas komplizierteren Sachverhalten über eine längere Zeitspanne konzentriert zu folgen. Und daß in minütlichem Abstand fast schon zwanghaft auf das Handy gestarrt wird. Gerade so, als würde sich nur noch in diesem kleinen Kasten das wahre Leben abspielen. Nun läßt sich natürlich trefflich darüber sinnieren, was denn das wahre Leben eigentlich ausmacht. Wobei wir wieder beim Menschsein wären. Ich glaube nicht, daß es gut ist, einen Großteil unserer Kommunikation auszulagern und ihre Abwicklung in die Hände eines Mark Zuckerberg oder der Firma Apple zu legen. Zu einer gelungenen Kommunikation gehört am Ende immer auch das persönliches Gefühl, verstanden worden zu sein. Was schon in einer zwischenmenschlichen Beziehung nicht einfach ist, wie wir sicher alle aus eigener leidvoller Erfahrung wissen. Doch in den Weiten der digitalen Netze, die mittlerweile unsere Erde umspannen und die Art und Weise bestimmen und regeln, in der wir uns mitteilen, ist das Gefühl des Verstehens, des Verständnisses füreinander, uns langsam, aber sicher abhanden gekommen.

Als Folge dieser technologischen Entwicklung, die zwar unbestritten vieles einfacher macht, aber deren Bedeutung für unser Zusammenleben wir leichtfertig unterschätzen, schaffen wir es in vielen unserer Lebensbereiche nicht mehr, auf gleicher Ebene miteinander zu kommunizieren, auf Augenhöhe miteinander zu reden. In der Kommunikationswissenschaft ist dieses Phänomen auch aus den seligen Zeiten vor der Dominanz und Allmacht des Internets bekannt. Die Gelehrten sprachen seinerzeit von den sogenannten „Sozialen Systemen“, die jeweils ihre eigenen Kommunikations- und Verhaltenscodes entwickeln und durchsetzen, und zu denen Außenstehende nur schwer Zugang bekommen. Die Kommunikation über die sozialen Medien, über E-Mail und Smartphone hat diesen Trend in meinen Augen noch verstärkt. Immer mehr Menschen gehören einfach nicht mehr dazu, ihnen fehlen letztendlich die technischen und kognitiven Fähigkeiten, um bei der rasanten Entwicklung unseres Kommunikationsverhaltens mithalten zu können. Vielleicht wollen viele Menschen auch nicht mehr mitmachen bei dem irrsinnigen Wettlauf, den wir alle uns liefern, um noch besser, noch hochwertiger, noch multimedialer erreichbar zu sein. Ich kann diese Menschen gut verstehen, die keine Lust mehr auf den ganzen Wahnsinn haben. Was nutzt uns das teuerste Notebook, die soundsovielte Edition des Smartphone de Luxe, wenn wir uns zum Schluß nichts Relevantes mehr zu sagen haben. Wir können uns stundenlang über Snapchat und Instagram unterhalten, aber wir teilen den Menschen um uns herum nicht mehr mit, was uns wirklich bewegt, wie wir denken, wie wir fühlen. Wir können nicht mehr von unseren Hoffnungen erzählen, von unseren Träumen, unseren Wünschen. Das überlassen wir Facebook, dort posten wir hin und wieder verschämt ein Urlaubsfoto oder Pizzareste oder ein Bildnis von unseren Kindern. Das, was uns wirklich wichtig ist, können wir nicht mehr in unsere eigenen Worte fassen. Wir nutzen Textfloskeln, vorgefertigte Meinungen, Sprüche, die schön klingen, aber bei genauerer Betrachtung nur hohl und nichtssagend sind. Wir beschweren uns über den türkischen Staatspräsidenten, weil der alles verbieten lassen will, was ihn in irgendeiner Form verletzen oder beleidigen könnte. Und wir merken dabei nicht einmal, wie sinnentleert unser eigenes Leben mittlerweile geworden ist, weil es nichts mehr gibt, was uns noch irgendwie verletzen und beleidigen könnte.

Wem werden wir schließlich mitteilen, was uns bedrückt, was uns belastet, was uns traurig macht? Wer hört uns noch zu, wenn uns der Schuh drückt, wenn der Neumarkt zum hundertsten Male gesperrt werden soll, wenn die Steuern wieder einmal erhöht werden und wir es nicht mehr schaffen, sie zu bezahlen? Wer nimmt uns noch ernst? Wer freut sich aus ganzem Herzen mit uns, wenn wir eine schwere Prüfung bestanden haben, wenn wir erfolgreich und glücklich sind, wenn wir uns verlieben und der ganzen Welt mitteilen möchten, wie schön das Leben sein kann? Wahrscheinlich hat in den schweren und leichten Stunden niemand mehr Zeit für uns, weil alle nur noch damit beschäftigt sind, auf ihr Handy zu starren, um bloß nichts zu verpassen. Ich möchte diese Stunden mit den Menschen teilen und nicht mit irgendwelchen technischen Geräten. Wir sollten wieder mehr miteinander reden, das vereinfacht unser Leben. Und wenn es nur über das bescheidene Wetter und die bösen Politiker und den unmöglichen Nachbarn ist. Ich werde morgen früh mit meinem Hund mal wieder zum Rubbenbruchsee gehen, kurz nach Sonnenaufgang, wenn sich das OS-Team da noch nicht rumtreibt. Vielleicht treffe ich den ein oder anderen Menschen, der ebenfalls Frühaufsteher ist, und wir unterhalten uns kurz. Über unsere Hunde, über den wunderschönen See im Morgengrauen, über den Regen. Das sind oft bessere Gespräche als ich sie mit den Menschen führe, die jeden Tag um mich herum sind. Aber mit denen werde ich auch mal wieder öfter sprechen. Von Angesicht zu Angesicht. Und ihnen zeigen, daß ich noch da bin und daß sie mir wichtig sind. Vielleicht wird das Wetter dadurch besser. Ich bin dann mal off, bis nächsten Freitag…

Ich wünsche allen HASEPOST-Lesern ein Wochenende, an dem es nichts zu kritisieren gibt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Ihr

Justus Möser

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