Guten Abend,

seit Anfang dieses Jahres gibt es in der HASEPOST eine kleine Serie über die Osnabrücker Mediengeschichte. Der Anlass dazu ist ein stolzes Jubiläum. Ich habe es nämlich für richtig befunden, vor genau 250 Jahren eine Zeitung für unsere Stadt ins Leben zu rufen. Mangels besserer Ideen habe ich sie „Osnabrückische Anzeigen“ genannt. In jenen Tagen war das Pressewesen in Deutschland noch nicht besonders weit entwickelt, und so waren die meisten sogenannten Zeitungen dann doch nichts anderes als Verlautbarungsorgane der Obrigkeit. Um das Ganze etwas aufzulockern, schrieb ich eigene Kolumnen unter dem Titel „Patriotische Phantasien“, in denen ich auch gerne mal die offizielle Regierungspolitik kritisch unter die Lupe nahm. Denn ich wollte nicht, daß die öffentliche Meinung nur von den Regierenden und ihren Claqueuren bestimmt wird. Ich habe eigentlich immer gedacht, daß diese Zeiten hier bei uns ein für allemal vorbei sind. Die Deutschen haben oft genug und viel zu lange nach irgendwelchen Pfeifen (im wahrsten Sinne des Wortes) getanzt, ob sie nun Goebbels oder Hitler hießen, Honecker oder Mielke, Karl-Eduard von Schnitzler oder Gerhard Löwenthal. Ich halte eine freie Presse für die wesentliche Grundvoraussetzung eines funktionierenden und erfolgreichen Staatswesens. Zur Freiheit gehört unabdingbar die Pluralität der Meinungen, die Möglichkeit, auch mal Ansichten, die von der Mehrheit als schräg oder komisch angesehen werden, zu äußern, und Dinge kundzutun, die eventuell nicht mehrheitsfähig sind. Auch darüber sollte die freie Presse berichten, vielleicht sollte sie vor allem über die Schrägen und Unangepaßten berichten, denn sie geben unserem politischen Alltag oft die nötige Würze, die ich persönlich bei der gesamten bundesdeutschen Führungsriege schmerzlich vermisse.

Erschrocken war ich nun allerdings, als die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung über eine Äußerung des führenden AfD-Funktionärs Alexander Gauland berichtete. Angeblich soll er gesagt haben, daß er den deutschen Nationalspieler Jerome Boateng nicht als Nachbarn haben möchte. Gauland hat die Art und Weise, wie seine angebliche Äußerung in der Öffentlichkeit dargestellt worden ist, von Anfang an bestritten. Ich möchte nun gar nicht näher darauf eingehen, wer nun in dieser Angelegenheit Recht hat und wer lügt. Was mich wirklich bestürzt, ist die Häme und Hetze, die über den alten Mann in den Tagen nach seiner angeblichen Äußerung hereingebrochen ist. Nicht nur die üblichen Verdächtigen wie der Bundesjustizminister und die gutmeinenden Publizisten, die natürlich sofort für sich selber feststellen mußten, daß sie selbstredend lieber einen Jerome Boateng als den Herrn Gauland zum Nachbarn haben möchten, waren sofort am Start. Nein, die Bundeskanzlerin ließ ebenso eilfertig verlautbaren, daß sie die angeblichen Gauland-Äußerungen als niederträchtig und traurig empfindet. Und auch der Deutsche Fußball-Bund hatte trotz der sicherlich stressigen Vorbereitung auf die Europameisterschaft nichts besseres zu tun, als zügig ein Video anzufertigen, in dem zum wiederholten Male bekräftigt wurde, daß Vielfalt der Einfalt vorzuziehen ist (was niemand bestreitet). Das Geld hierfür hätte man doch auch ganz gut in die Nachwuchsförderung stecken können. Denn bei den selbsternannten sogenannten Meinungsführern der deutschen Öffentlichkeit ist von Vielfalt seit vielen Monaten nicht mehr viel zu spüren. Uns wird ein medialer Einheitsbrei vorgesetzt, der von aufgesetzter Empörung über rassistische Umtriebe bis hin zum entsetzen Aufschrei über die fortdauernde Geschlechterdiskriminierung reicht, der aber die Komplexität und Problematik der politischen, sozialen, ökonomischen und gesellschaftlichen Umwälzungen gezielt ausblendet, mit denen sich der normale Bürger täglich auseinanderzusetzen hat.

Ich habe von der Bundeskanzlerin ein Wort des Bedauerns über den Tod eines 17jährigen in Bonn-Bad Godesberg vermißt, der völlig sinnlos an einer Bushaltestelle totgeschlagen wurde. Ich wünsche mir eine Erklärung für den so plötzlich vollzogenen radikalen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik, eine Begründung für die ständigen Kotaus vor Recep Tayyip Erdogan, ein Wort der Solidarität für Jan Böhmermann, der als Künstler selbstverständlich kritisiert werden darf, der aber als deutscher Staatsbürger doch durchaus von Schutz und Hilfe durch seine oberste Regierungsvertreterin ausgehen darf, statt einfach zum Abschuss freigegeben zu werden. Ich wünsche mir, daß Vielfalt statt Einfalt auch das Regierungshandeln bestimmt, daß in den deutschen Medien wieder mehr Meinungspluralismus Einzug hält, daß Deutschland wirklich dieses liebenswerte bunte Land ist, als das es sich selbst so gerne sieht.

Gerade die Printmedien haben seit Jahren starke Probleme damit, den Rückgang an Lesern aufzuhalten und vor allem junge Menschen für ihre Angebote zu begeistern. Ein Großteil dieser Entwicklung mag sicherlich dem Siegeszug des Internets geschuldet sein. Aber wer will denn schon immer die gleiche Leier hören, immer dieselben vorgefertigten und einseitigen Kommentare lesen, ohne die Möglichkeit zu haben, auch mal neue, andere Sichtweisen kennenzulernen, selbstverständlich kritisch zu überprüfen, aber sich schließlich doch eine fundierte eigene Meinung bilden zu können. Das ist doch das Mindeste, was man von Qualitätsmedien erwarten darf. Es wird aber schon lange nicht mehr geliefert. Einfalt, wohin das Auge blickt. Ich halte diese Entwicklung in einer freien Gesellschaft für höchst gefährlich. In Zeiten von „Alternativlosigkeit“ und hoffnungsvollem „Wir schaffen das“-Gerede sind sicherlich nicht nur die Medien alleine an ihrer schwierigen Situation schuld. Aber sie sollten endlich den Ernst der Lage begreifen und entschieden gegensteuern. Sonst laufen ihnen auch noch die letzten treuen Leser weg. Zum Beispiel ich. Denn für Meinungseinfalt möchte ich eigentlich nicht auch noch Geld bezahlen. Da kann ich mich besser in eine Kneipe setzen und ein gepflegtes Bier bestellen. Dort am Tresen erlebe ich oftmals weitaus mehr Vielfalt und Tiefsinn als in den Kommentarspalten der deutschen Nachrichtenmagazine und Tageszeitungen zusammen. Von den staatstragenden Nachrichtensendungen im deutschen Fernsehen ganz zu schweigen. Damit will ich es jetzt aber auch gut sein lassen. Nachher bekomme ich noch eine Abmahnung zugesendet, weil ich es gewagt habe, für Vielfalt statt Einfalt zu plädieren. Das kommt heutzutage vielerorts nicht mehr besonders gut an. Ein schlechtes Zeichen!

Ich wünsche allen Hasepost-Lesern ein Wochenende, an dem es nichts zu kritisieren gibt.

Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Ihr

Justus Möser

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