HASEPOST
 
HASEPOST

Leserbrief: Ein Weckruf aus Österreich nach Osnabrück

Die HASEPOST veröffentlicht gelegentlich Leserbriefe – wie diesen hier. Wir können leider nicht jeden Leserbrief veröffentlichen, freuen uns aber über jede Zuschrift, die ein Anstoß für weitere Recherchen sein kann. Die Autoren der Leserbriefe sind der Redaktion immer bekannt, auch wenn – auf Wunsch der Verfasser – der Name nicht genannt wird. Über Zuschriften per E-Mail freuen wir uns sehr!


Liebe Leserinnen und Leser der Hasepost,

ich melde mich als Osnabrücker aus Österreich – das Land von Sissi und Franz, Haider und Rene Benke, der lebenswertesten und für Ausländer unfreundlichsten Stadt der Welt. Servus!

Vor gut acht Jahren zog ich von Osnabrück nach Wien und stehe jetzt wieder vor einem Umzug. Ich verlasse Wien in dem Moment, in dem Herbert Kickl – ehemaliger Redenschreiber von Jörg Haider und scheinbar der erste clevere Rechtsextreme an der FPÖ-Spitze – sich zum Volkskanzler ernennen lässt. Der erste sogenannte Volkskanzler seit Hitler – aber das ist sicher nur so ein Zufall wie Elon Musks ‚Römischer Gruß‘ einer war. Wohin würde ich zurückkehren, wenn ich im März nach Deutschland, ja vielleicht nach Osnabrück ziehe?

Liebe Leserinnen und Leser, erinnern sie sich noch an die Ibiza-Affäre? Damals, als FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache bereit war, einer vermeintlichen Oligarchin die größte Zeitung des Landes zu verkaufen? Der hiesige Bundespräsident van der Bellen hielt eine Rede, aus dessen Anfang ich – mit ein paar kleinen Änderungen (Sie werden sie erkennen) – zitieren möchte. Ich schicke sie Ihnen aus der Zukunft. Schließlich sind und waren die Österreicher uns, was Rechtsextremismus angeht, immer gut zehn Jahre voraus:

„Liebe Osnabrücker, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Bilder, die uns in diesen Tagen erreichen, zeigen ein verstörendes Sittenbild, das unserem Land, unserem Deutschland, nicht gerecht wird. Es sind beschämende Bilder. Und niemand soll sich für Deutschland schämen müssen. Ich möchte das in aller Deutlichkeit sagen: So sind wir nicht! So ist Deutschland einfach nicht! Die deutsche Bevölkerung muss sich auf die Integrität der Regierung, auf die Integrität der Verantwortungsträger und auf die Integrität der Institutionen verlassen können. Was dieses Sittenbild aber auch zeigt, ist eine dreiste Respektlosigkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes. Verantwortungsträger der Bundesrepublik haben das in sie gesetzte Vertrauen gebrochen. Das ist eine unerhörte Respektlosigkeit. Und diese Respektlosigkeit toleriere ich nicht.“

Ich auch nicht, lieber Alexander van der Bellen, ich kann das auch nicht tolerieren. Und doch müssen, dürfen wir uns nicht in die Tasche lügen: Dass Parteien in Teilen als gesichert rechtsextrem gelten, bedeutet, dass auch wir in Teilen gesichert rechtsextrem sind. Ja, manche von uns sind so. rotzdem wünsche ich, diese Worte wären wahr gewesen, wären heute wahr und wenn nicht heute, dann wenigstens morgen. Und doch müssen wir festhalten: Wir sind in teilen integre Menschen, wir sind in teilen Menschen mit großen Herz, wir sind in Teilen weltoffen, in Teilen sind so wie van der Bellen es beschreibt – ich kenne mehr als eine Hand voll Osnabrücker, von denen ich das gesichert sagen kann!

Zum Teil stehen Osnabrücker in den Großen Fußstapfen des Westfälischen Friedens. Zu einem andern Teil stehen wir allerdings auch in den Fußstapfen derer, die in der Nacht vom 8. November 1938 im Katharinenviertel zusahen, wie einige Mitbürger die dortige Synagoge in Brand steckten und andere Mitbürger zusahen, wie die Feuerwehr darauf Acht gab, dass das Feuer nicht auf die benachbarten Häuser übersprang (während man andere Mitbürger (jüdische) in den Keller des Schlosses pferchte, ehe man sie nach Buchenwald deportiere). Verstand man diese Aktion als Brandmauer gegen das Feuer, das die Nazis legten?

Ich sehe auf Social Media viele Osnabrücker, die für eine Brandmauer gegen Rechts auf die Straße gehen. Das macht mich stolz. Einerseits. Andererseits hoffe ich, dass diese Brandmauer mehr leistet als diese von 1938; dass sie mehr als das eigene Hab und Gut schützt. Es gibt Osnabrücker die zählen auf ihre Nachbarn, auf ihre Mitbürger, dass sie nicht nur das vermeintlich eigene Haus schützt und im großen Gestus erklärt, man selbst habe das Feuer ja nicht gelegt, man wärme sich nur in dieser kalten Novembernacht die Hände. Und ja man hätte auch einen Juden als Freund eines Freundes, eine Frau daheim und einem Syrer habe man mal ein Franzbrötchen spendiert.

Liebe Osnabrückerinnen und Osnabrücker, wenn ich aus der rechtsextremen Zukunft Österreichs in die Vergangenheit reise, möchte ich nicht gleich 90 Jahre zurück in die Vergangenheit. Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie, dass Ihr ein wenig mehr tut, als dem Juden keine Weltverschwörung zu unterstellen, eure Frauen nicht zu schlagen und einem Syrer kein Flugticket nach Damaskus zu spendieren und die Partei der Faschisten nicht direkt wählt.

Ich habe viele Freundinnen und Freunde, die große Angst um ihre eigene Haut haben. Doch was sie zu meinen Freunden macht, ist, dass sie sich auch um die Haut der Anderen sorgen. Dass sie trauern können, wenn Extremisten in Deutschland Menschen töten, und dass ihr Herz es schafft, auch um jene zu trauern, die auf dem Weg nach Deutschland (etwa im Mittelmeer) ihr eigenes Leben oder das Leben einer geliebten Person verlieren.

Im März komme ich – zumindest auf Besuch – und ich zahle auf die Gastfreundschaft, dass der Teil der gesichert gastfreundschaftlichen eine stabile Mehrheit in Osnabrück bildet.

Bussi baba – wie man hier zu sagen pflegt. Und bis bald.
Joel Souza Cabrera

 
Hasepost
Hasepost
Dieser Artikel ist keinem bestimmten Kollegen zuzuordnen.

  

Anzeige
-->

   

 

Diese Artikel gefallen Ihnen sicher auch ...Lesenswert!
Empfohlen von der Redaktion