Kommentar: Was bleibt, Christian Wulff?

Herzlichen Glückwunsch, Christian Wulff! Am Donnerstagabend (30. Juni) wurde der ehemalige Bundespräsident, einstige Ministerpräsident des Landes Niedersachsens und einer der profiliertesten Kommunalpolitiker, den das Feierabendkabinett im Rathaus je gesehen hat, mit der Ehrenbürgerwürde der Stadt Osnabrück geehrt.

Was bleibt – besser noch – was ist geblieben von dieser ganz ordentlichen Leistung eines Mannes, der immer noch weit vom Ruhestand und Pensionärsleben entfernt ist?

Eine Kommentar von Heiko Pohlmann.

Schaut man sich die Kommentare zum Beispiel bei unserem Facebook- oder Instagram-Account an, dann ist bei einigen Zeitgenossen noch immer sehr viel diffuse Abneigung vorhanden. Oft gespeist aus der höchst seltsamen Affäre rund um … ja, worum eigentlich?

Es tut mir leid, da war bei genauerer Betrachtung *nichts* zwischen Dezember 2011 und Februar 2012, dessen sich Christian Wulff oder seine Heimatstadt schämen müsste.
Mit Ausnahme vielleicht einiger auch heute noch im Stadtrat anzutreffender Ratsmitglieder aus den Fraktionen links von der Mitte, die sich wirklich schämen sollten. Die wollten seinerzeit nur zu gerne glauben, was ausgerechnet die BILD ihnen während einer beispiellosen Kampagne wochenlang und fein filetiert lieferte. Und mit ihnen wollte es scheinbar das ganze Land. Deutschland erlebte seinerzeit eine wahre Hetzjagd auf den ranghöchsten Repräsentanten des Staates.

Kann sich noch jemand erinnern, welche Verfehlungen Christian Wulff vorgeworfen wurden und was davon sich letztlich bestätigte?
Ein Bobby-Car, das sein Kind anlässlich eines privaten Autokaufs vom Autoverkäufer geschenkt bekam? Die von der sensationslüsternen Bettina Schausten, Leiterin des ZDF-Hauptstadtbüros, konstruierte Idee, dass es unter Freunden üblich sei, bei einer Übernachtung nach einem privaten Besuch für die Übernachtungskosten zu bezahlen?
Ja, es gab natürlich noch einige Vorwürfe mehr. So viele Vorwürfe, dass ein wirklich hörenswerter Podcast der ARD dafür sieben Folgen brauchte, um noch einmal alles zu rekapitulieren. Und am Ende? Ein Rücktritt, eine private Ehetragödie und eine späte (viel zu späte) Genugtuung, als im Frühjahr 2014 ein Gericht urteilte, dass sich der aus dem Amt gemobbte Bundespräsident nichts zu Schulden kommen lassen habe.

OK, aber er hat sich schlecht verteidigt. In der Öffentlichkeit hat Wulff seinerzeit nicht immer ein gutes Bild gemacht – vor allem unter Druck. Aber bitte, das soll alles gewesen sein? So viel Hass und Häme und immer noch keine Entschuldigung – auch nicht von einigen Osnabrücker Lokalpolitikern – weil jemand unter Druck nicht immer optimal reagiert hat?

Was bleibt, ist die Rettung des Karmann-Werkes, selbst wenn der Volkswagen-Konzern mit seiner Resterampe-Produktion und der Unsicherheit darüber, was aus dem Werk im Fledder langfristig werden soll, sicher nicht der bestmögliche Garant für einen Weiterbetrieb in der aufziehenden Krise ist.
Quasi die Ouvertüre der Affäre Wulff ist dabei auch, wie der spätere Bundespräsident, als er noch in Hannover für Niedersachsen verantwortlich war, in einen Familienstreit der Piëch- und Porsche-Dynastie um die Macht im Volkswagen-Konzern hineingezogen wurde. Aber das ist schon fast wieder eine andere Geschichte, die aber auch noch erzählt werden muss.
Dass in Osnabrück jetzt wieder Porsche-Fahrzeuge (wenn auch mal wieder nur Auslaufmodelle) produziert werden, ist jedenfalls nicht ohne eine bittere Ironie. Nicht wenige Osnabrücker kennen die öffentlich bislang nur in Teilen erzählte Geschichte, bei der es auch um gestohlene Fahrzeugkonzepte und zahlreiche Managementfehler der Firma Karmann und die persönlichen Befindlichkeiten des damaligen VW-Chefs geht. Aber wie gesagt, das ist schon fast wieder eine ganz andere Geschichte, bei der auch Christian Wulff eine Rolle spielte und bei der unserer neuer Ehrenbürger vor allem das Wohl der Stadt Osnabrück im Blick hatte. Etwas, das man ihm nun wirklich nicht vorwerfen kann.
Die Ehrenbürgerwürde ist das Mindeste, was Osnabrück und die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt ihm schulden.

Hier geht es zum ARD Podcast “Christian Wulff – der Fall des Bundespräsidenten”; hörenswert!

 


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Heiko Pohlmann
Heiko Pohlmann gründete die HASEPOST 2014, basierend auf dem unter dem Titel "I-love-OS" seit 2011 erschienenen Tumbler-Blog. Die Ursprungsidee reicht auf das bereits 1996 gestartete Projekt "Loewenpudel.de" zurück. Direkte Durchwahl per Telefon: 0541/385984-11

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