So, nun gilt die AfD nicht mehr nur in einigen ostdeutschen Landesverbänden als „gesichert rechtsextrem“, sondern bundesweit. „Und los geht das Geheule der Blaunen“*, kommentierte dazu ein Leser der HASEPOST bei Facebook.
*: „Blaun“ ist eine im Internet verbreitete Formulierung, mit der AfD-Anhänger (blau) in die Nähe von Nazis (braun) gestellt werden sollen.
Neben diesem „Geheule“ ist aber auch viel Skepsis zu hören – insbesondere hinsichtlich des Zeitpunkts und der fehlenden Transparenz bei dieser letzten Amtshandlung von Nancy Faeser, die immerhin die Vorgesetzte der Verfassungsschützer ist. Ich halte es für ausgeschlossen, dass die Neubewertung der AfD ganz ohne Einfluss der Bundesinnenministerin stattfand – und dass sie ausgerechnet jetzt nicht hätte aufgeschoben werden können, bis ein Nachfolger im Amt eingeführt ist.
Ein Kommentar von Heiko Pohlmann
Eigentlich wäre jetzt der Moment gekommen, für die nur noch kommissarisch amtierende Innenministerin ihre Schreibtischschubladen zu leeren. Nicht nur ihre Partei, die SPD, ist bei der letzten Bundestagswahl krachend abgestürzt, auch die Regierung, für die sie so sattelfest im Kabinett war, wurde vorzeitig beendet. Irgendwie kein guter Hintergrund, um ausgerechnet in den letzten Arbeitstagen die stärkste Oppositionskraft so anzugreifen, um sich dann umgehend aus der Verantwortung zu verabschieden.
Die über 1.000 Seiten starke, jedoch nicht öffentlich zugängliche Analyse des Verfassungsschutzes dürfte auch kaum ohne Rücksprache mit der künftigen Regierung Merz erfolgt sein.
Dahinter steckt meiner Ansicht mehr – möglicherweise parteitaktisches Kalkül. Vielleicht sogar blanke Panik, angesichts der anhaltend hohen Umfragewerte der AfD. Denn sollte die fragile neue Koalition aus CDU und SPD scheitern, droht beiden Parteien der Absturz. Ein Absturz, der vor allem auch der Union droht, die mit Friedrich Merz und seinen zahlreichen schon vor Amtsantritt gebrochenen Wahlversprechen massiv an Wählervertrauen verloren hat. Führende Vertreter von CDU und CSU haben in den vergangenen Wochen richtig erkannt, der Hauptgegner der AfD sind nicht die Grünen, sondern die Union – aber auch das Agieren des Noch-Nicht-Kanzlers Merz, der sich in Rekordzeit vom konservativen Wahlgewinner zum Durchführungsgehilfen der Schuldenpolitik von SPD und Grünen wandelte.
Ob die Einschätzung des Verfassungsschutzes inhaltlich nachvollziehbar ist, kann ich mangels Einblick in die zugrunde liegenden Unterlagen nicht beurteilen – so wie rund 60 Millionen Wahlberechtigte. Und genau darin, dass die Begründung nicht öffentlich vorliegt, liegt bereits ein zentrales Problem.
Ein Parteiverbot, für das diese Einschätzung ein entscheidender Baustein sein könnte, darf nicht leichtfertig angestoßen werden und muss transparent und nachvollziehbar erfolgen. Der Zeitpunkt – kurz vor dem Amtsende Faesers – sowie die Tatsache, dass die Begründung für die Einstufung nicht öffentlich gemacht wurde, erinnern fatal an das juristisch gescheiterte Verbot der rechten Zeitschrift Compact, das ebenfalls auf einen angeblichen Alleingang von Ministerin Faeser zurückging.
Nun gibt es zwei denkbare Entwicklungen: Entweder wehrt sich die AfD erfolgreich juristisch gegen die VS-Einschätzung – oder es kommt mittelfristig zu einem Verbot der AfD. Mit der Neueinstufung durch den Verfassungsschutz wäre in diesem Fall ein entscheidender Meilenstein gesetzt.
Beides halte ich für problematisch. Doch der Zug ist abgefahren – eine Rückkehr scheint ausgeschlossen.
Sollte die AfD vor Gericht obsiegen, wäre das gleichbedeutend mit einer Art Absolution. Aus den derzeit rund 25 Prozent Zustimmung könnten dann schnell 30 oder mehr werden – insbesondere wenn, wie zu erwarten, einzelne Inhalte der Bewertung an die Öffentlichkeit gelangen oder juristisch erzwungen offengelegt werden und sich dann als offensichtlich haltlos erweisen.
Falls hingegen ein Parteiverbot tatsächlich durchkommt – was wird dann aus den jetzigen AfD-Wählern?
Politische Überzeugungen – oder auch nur Protest an der Wahlurne gegen die Regierungspolitik – lösen sich nicht in Luft auf. Wer glaubt, dass heutige AfD-Wähler sich dann schlagartig in Jungsozialisten verwandeln oder beim nächsten Spargelessen der Frauen Union vergessen, warum sie im Februar ihre Stimme der AfD gegeben haben, der verkennt die Realität.
Was es braucht, ist kein Verbot – sondern einen Politikwechsel von SPD und insbesondere der Union. Einen, der die Ursachen für den Protest an der Wahlurne angeht, statt ihn zu delegitimieren. Labels wie „Blaune“ und die Einschätzungen der dortigen Landesämter für den Verfassungsschutz haben schon in den ostdeutschen Bundesländern nicht dazu geführt, dass sich die Wähler von der AfD abgewendet hätten.
Titelbild unter Verwendung eines Fotos mit Lizenz CC BY-SA 3.0 de, by Túrelio
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