Kommentar: Tempo 30 für mehr Verkehrssicherheit in Osnabrück

Tempo 30 Schild in der Lotter Straße / Foto: Brockfeld

Immer wieder sorgen tote und schwerverletzte Verkehrsteilnehmer in Osnabrück für Schlagzeilen. Die Politik reagiert bestenfalls halbherzig. Eine einfache Maßnahme könnte für deutlich mehr Sicherheit sorgen: Tempo 30 in der ganzen Stadt.

Am 29. November wurde ein 28-jähriger Radfahrer an der Kreuzung Wall/Martinistraße von einem rechtsabbiegenden Lkw getötet. Das tragische Unglück war kein Einzelfall, seit dem Jahr 2000 verloren mehr als 30 Radfahrerinnen und Radfahrer ihr Leben auf den Straßen der Friedensstadt. Unfälle mit Schwerverletzten gehören beinahe zum Alltag. Nach jedem tödlichen Unfall fordert die Osnabrücker Lokalpolitik einhellig, dass jetzt endlich etwas passieren müsse. Doch bislang blieb es bei halbherzigen Maßnahmen, wie der Umwandlung der Rechtsabbiegerspur am Wall. Dabei ist allen Osnabrückern klar, dass der nächste tödliche Unfall nur eine Frage der Zeit ist.

Beeindruckender Erfolg in Brüssel

Die Stadt Brüssel zeigte im vergangenen Jahr, dass es auch anders geht: Mit einigen Ausnahmen gilt in der gesamten belgischen Hauptstadt seit Januar 2021 Tempo 30. Brüssels Verkehrsministerin Elke Van den Brandt sagte damals: „Bei uns gibt es zu viele Unfälle und zu viele Verletzte im Straßenverkehr. Deswegen wollen wir dafür sorgen, dass die Autos langsamer fahren, besonders in den Wohngebieten.“ Viele Belgier waren alles andere als glücklich über die strengen Geschwindigkeitsbegrenzungen, doch nach einem Jahr ist die Bilanz beeindruckend: Die Zahl der Verkehrstoten halbierte sich im Vergleich zum Vorjahr und auch die Zahl der Schwerverletzten sank um 20 Prozent. Brüssel wurde deutlich leiser, die Lärmbelastung ging um bis zu 4,8 Dezibel zurück, das entspricht mehr als einer Halbierung der wahrgenommenen Lautstärke. Der befürchtete Anstieg der Fahrzeiten blieb aus, der langsamere Verkehr ist deutlich flüssiger.

Umdenken in vielen Ländern

Brüssel ist mit der Idee nicht alleine. Auch Paris setzt seit dem Sommer weitgehend auf Tempo 30. Die Spanier gingen sogar noch einen Schritt weiter und führten im Mai 2021, als erstes Land der Welt, 30 km/h als allgemeines Tempolimit für zweispurige städtische Straßen (ca. 80 % der Straßen) ein. Im Autoland Deutschland haben es Forderungen nach strengeren Tempolimits schwer, allzu oft scheinen verkehrspolitische Entscheidungen in Wolfsburg und nicht in Berlin gefällt zu werden. Doch niedrigere Geschwindigkeiten reduzieren nicht nur Lärm und Lebensgefahr, sondern auch den CO2-Ausstoß und die Feinstaubbelastung. Die Lebensqualität aller steigt und besonders die Jüngsten profitieren. Sie können mehr Wege selbstständig zurücklegen und ohne Todesangst an der Straße spielen.

Kaum Vorteile durch Tempo 50

Wer sich jahrzehntelang an Tempo 50 gewöhnt hat, empfindet das Fahren mit 30 km/h wahrscheinlich als Stau. Doch das Gegenteil ist richtig: Durch die geringere Geschwindigkeitsdifferenz zwischen den Pkw wird der Verkehr flüssiger. In der Stadt ist 50 gerade zur Hauptverkehrszeit ohnehin kaum möglich und wenn doch, wird man rasch von der nächsten Ampel ausgebremst. Das hohe Tempo bringt in der Stadt zwar viele Nachteile, aber laut zahlreichen Studien keine wesentliche Zeitersparnis. Auch der Platzbedarf sollte bedacht werden. Auf Tempo 50 ausgelegte Straßen werden breiter gebaut. Schnellere Autos müssen mehr Abstand zueinander halten, daher passen weniger Fahrzeuge gleichzeitig auf einen Fahrbahnabschnitt.

Tempo 30 ist kein Allheilmittel

Natürlich kann ein strengeres Tempolimit nicht alle Verkehrsprobleme in Osnabrück lösen. 40 Tonnen schwere Lkw haben auch bei geringeren Geschwindigkeiten einen viel zu großen toten Winkel. Doch eine Verlangsamung von Autos und Lastwagen würde die Verkehrssituation deutlich entschärfen. Mehr Kinder dürften draußen Spielen, die Stadt wäre ruhiger und Radfahrer könnten gleichberechtigt im Verkehr mitschwimmen, statt auf dem Wall um ihr Leben zu bangen. Im Rathaus sollte man ernsthaft darüber nachdenken, ob der Nutzen von Tempo 50 wirklich den Schaden überwiegt.


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Lukas Brockfeld
Lukas Brockfeld
Lukas Brockfeld ist seit dem Sommer 2019, erst als Praktikant und inzwischen als fester Mitarbeiter, für die Redaktion der HASEPOST unterwegs.

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