Mösers Meinung: Es kommt meistens alles anders als man denkt

Guten Abend,

am Freitag vorvergangener Woche haben sich vor dem sanierungsbedürftigen Osnabrücker Theater fast schon gespenstig anmutende Szenen abgespielt. Dort wurde demonstriert, allerdings nicht gegen pandemiebedingte Einschränkungen des öffentlichen Lebens sondern für den Klimaschutz. Mir gebotenem Abstand hielten Menschen, die aufgrund ihres Alters fast allesamt zur Corona-Risikogruppe gehören, die üblichen Plakate und Transparente hoch. Normalerweise hatten sich dort in den Monaten vor der Pandemie regelmäßig Schüler versammelt, die sogenannte Fridays for Future-Bewegung, die bei dieser Gelegenheit kurz vor dem Wochenende die Schule geschwänzt hat, um auf diese Weise ihre Sehnsucht nach einer besseren Welt zum Ausdruck zu bringen. Da aber zur Zeit kein geregelter Schulbetrieb möglich ist, scheint es für die jungen Leute wenig Sinn zu machen, weiterhin am Freitagmittag ihren Idealen Ausdruck zu verleihen. Diesen Job haben jetzt offensichtlich ihre Großeltern übernommen. In überschaubarer Anzahl und dem Ernst der Lage angemessen standen sie mit entschlossener Miene auf dem Platz der deutschen Einheit herum und versuchten, das Lebenswerk ihrer Enkel nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Viel Aufmerksamkeit wurde ihrem Anliegen von den vorbeieilenden Passanten nicht entgegengebracht, die scheinen im Moment andere Sorgen zu haben.

Was ich ein wenig schade finde, weil an einem gewissen Engagement für den Klimaschutz ja an und für sich nichts auszusetzen ist. Aber während der Corona-Krise haben die Deutschen wohl ihre Liebe zum eigenen Automobil wiederentdeckt und da passen all die vor einigen Monaten beschlossenen Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz nicht mehr so recht ins Bild. Konsumverzicht für ein besseres Klima mag eine schöne Illusion sein, in den nächsten Jahren wird aber die Ankurbelung des allgemeinen Konsums eine der Hauptaufgaben von Politik und Wirtschaft werden. Angesichts von vielen Millionen Arbeitslosen und Kurzarbeitern könnten dringende Menschheitsaufgaben ein wenig in den Hintergrund rücken. Deshalb scheint es geboten, Dinge wie den Klimaschutz oder die Energiewende zeitnah in die Hände von Profis zu legen (wie es einst auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner forderte, der dafür einen veritablen Shitstorm erntete). Es kann doch nicht sein, daß der Bekämpfung eines Virus alles zum Opfer fällt, was dieser Gesellschaft bis zum Frühjahrsanfang unverzichtbar und dringend notwendig erschien. Und da gibt es neben dem Klimaschutz noch eine Menge weiterer Dinge, von denen man seitdem eher wenig hört und die unverschuldet in den Hintergrund des öffentlichen Interesses geraten sind. Sei es der Kampf gegen den Rechtsradikalismus, den Bundesinnenminister Seehofer zum Anfang des Jahres als wichtige Angelegenheit des Staates und der Gesellschaft bezeichnete, sei es die Schaffung von Dieselfahrverbotszonen, um dem Schindluder mit falschen CO2-Ausstoßwerten Einhalt zu gebieten. Auch die weitere rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau in der Arbeitswelt kommt seit Monaten nicht mehr voran, im Gegenteil darf sich vor allem der weibliche Teil unserer Gesellschaft nun um die Beaufsichtigung von Kindern kümmern, denen der Besuch von Kitas und Schulen verwehrt wird. 

Wie schnell sich plötzlich die Prioritäten ändern. Es wird um billionenschwere Hilfspakete gerungen, die aber kaum zielführend sind und den schweren Schaden verdecken sollen, mit denen fast alle Wirtschaftsbereiche momentan fertig werden müssen. Verantwortungsbewusste Zukunftspolitik kann das nicht sein. Denn es kommt meistens alles anders als man denkt. Und wo heute noch um Infektionsobergrenzen und Lockerungsstrategien gerungen wird, kann morgen schon wieder ein ganz neues Problem im Vordergrund stehen. Deshalb ist von jetzt an Augenmaß und eine Konzentration auf Dinge gefragt, die unser weiteres Leben auf diesem Planeten wirklich maßgeblich beeinflussen.

Sonst haben wir am Ende zwar Corona besiegt, stehen aber mit völlig leeren Händen da und können uns das, was die Menschheit bislang nach schweren Krisen ausgezeichnet hat, nicht mehr erlauben: das Schaffen von besseren Lebensbedingungen.

Ich wünsche allen HASEPOST-LESERN einen Sonntagabend, an dem es nichts zu mösern gibt!

Ihr

Justus Möser

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Justus Möser
Justus Möser
Justus ist unser "ältester Mitarbeiter", seit 1720 wandelt er durch unsere Stadt - wobei er inzwischen eher "geistert". Sein Vertreter in der Gegenwart ist unser Autor Wolfgang Niemeyer, der sich in dieser Kolumne regelmäßig darüber Gedanken macht „was würde Möser dazu meinen“?

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