Guten Abend,

die Welt ist offensichtlich ein wenig aus den Fugen geraten. In Amerika bereitet sich ein wildgewordener Cowboy auf seine Präsidentschaft vor, in der Türkei werden alle Grundlagen einer Zivilgesellschaft über Bord geworfen, in Deutschland feiert die politische Klasse einen mehr oder weniger gescheiterten Außenpolitiker als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt. Kein Frieden in Sicht, nirgendwo.
Großbritannien sucht sein Heil in einem populistischen und irrationalen Isolationismus, an der ukrainischen Grenze wird seit Jahren um zumutbare und gesichtswahrende Bedingungen für russische Interessen gerungen, in Syrien geht dieser Tage ein menschenverachtendes Abschlachten und Morden in die nächste Runde. Man möchte manchmal an der Menschheit verzweifeln.

Nun werden die ganzen gefährlichen Entwicklungen der letzten Jahre, die gefühltermaßen mit der Öffnung der deutschen Grenzen für Flüchtlinge aus aller Welt im September 2015 eine weitere Eskalationsstufe erklommen haben (die mittlerweile angeblich von der deutschen Bundesregierung ungeahnte, aber bei einiger Überlegung doch vorhersehbare katastrophale Folgen nach sich zieht), von sogenannten Experten einer politischen Analyse unterzogen. Und da überrascht mich dann doch das Ergebnis. Plötzlich beklagen sich die Lautsprecher aus allen möglichen politischen Lagern lautstark über eine Krise des Liberalismus in der westlichen Welt. Egal ob links oder rechts, grün oder schwarz, rot oder dunkelrot – ein schwächelnder Liberalismus soll schuld sein an der allgemeinen Vertrauenskrise der Bürger in ihre Regierungen. Dabei haben genau die Leute, die im Angesicht des Wahlsieges von Donald Trump dicke Krokodilstränen weinen, seit Jahrzehnten nichts anderes im Sinn gehabt, als das Element der Freiheit in den westlichen Demokratien aufzuweichen. Der mündige Bürger ist schon lange nicht mehr das Ideal, das die Grundlage für politisches Handeln in einer aufgeklärten Gesellschaft bildet. Stattdessen suchen Heerscharen von hochbezahlten Pädagogen, Volkswirtschaftlern, Medizinern, Frauenbeauftragten, Ernährungswissenschaftlern und sonstigen Beratern ihre Daseinsberechtigung in der Entwicklung einer Vielzahl von Verboten, die dem einfachen Bürger das tägliche Leben zwar erleichtern und sein scheinbar furchtbar tristes Dasein erträglicher machen sollen, in der Praxis aber oft nicht funktionieren oder Dinge, die bisher gut funktioniert haben, nachhaltig beschädigen.

Ich möchte den meisten dieser selbsternannten Weltverbesserer ihren guten Willen nicht absprechen, mit Liberalismus hat ihr Handeln aber nun einmal in keinster Weise zu tun. Vollends grotesk wird die plötzliche Inanspruchnahme des Liberalismus-Begriff von Menschen, die ihn bisher konsequent ad absurdum geführt haben, wenn auf dem vergangene Woche zu Ende gegangenen Parteitag der Grünen in Münster Sätze fallen wie „Wir müssen anfangen zu verstehen, wie die Gegner der Liberalen Mehrheiten gewinnen“ (Cem Özdemir/Bundesvorsitzender) oder „Wir sollten die liberale Partei in Deutschland sein, denn eine relevante andere gibt es nicht mehr“ (Tarek Al-Wazir/Grüne Hessen) oder „Die Grünen sollten den Abgang der FDP nutzen, endlich konsequent für echten Wettbewerb einzutreten und dem Staatsdirigismus der großen Koalition Einhalt zu gebieten“ (Dieter Janecek/Grüne Bayern). Da kann man sich ja nur noch verwundert die Augen reiben angesichts dieses plötzlichen Sinneswandels führender Funktionäre einer Partei, die sich bislang für keine auch noch so absurde Verbotsforderung zum Wohle des gemeinen Volkes zu schade war. Ich finde es zwar gut, wenn angesichts der offensichtlichen Legitimationsprobleme des westlichen Wertesystems die etablierten Parteien sich endlich mal selber auf den Prüfstand stellen. Aber wenn dann schließlich ein Ergebnis bei rauskommt, das irgendwie an den VW-Abgasskandal erinnert, dann kann ich aufgrund meiner jahrhundertealten politischen Erfahrung nur dazu raten, besser einfach zu schweigen.

Wenn selbst die Grünen nun schon anfangen, dem Volk nach dem Mund zu reden und sich als glühende Vorkämpfer für mehr Liberalismus zu positionieren, dann kann ich mittlerweile gut verstehen, warum Politiker zunehmend als unglaubwürdig eingeschätzt werden und weshalb plumpe populistische Positionen einen starken Zulauf erfahren. Ich persönlich bin ein großer Freund des Liberalismus, aber wenn die Kämpfer für ökologische Nachhaltigkeit und Bevormundung aller Menschen, die nicht ihre Weltsicht teilen, plötzlich Begriffe für sich in Anspruch nehmen, von denen sie trotz aller Lippenbekenntnisse noch immer meilenweit entfernt sind, dann erinnert mich das irgendwie an ein recht bekanntes Buch von George Orwell, in dem er aufzeigt, wie sehr ein totalitärer Staat darauf angewiesen ist, die positiv besetzten Begriffe für seine Interessen zu nutzen. Das ist natürlich nichts anderes als Gehirnwäsche. Und wenn das etablierte Parteiensystem zu solchen Mitteln greift, wird es sein Ende eher beschleunigen als hinauszögern. Grüne Politik kann von ihrem Selbstverständnis her niemals liberal sein – für den Kampf um mehr Freiheitsrechte müssen wir uns hier in Deutschland in diesen schwierigen Zeiten leider andere Vorreiter suchen. Aber das ist immer noch besser, als Leuten wie Özdemir, Hofreiter, Roth, Trittin, Künast und Göring-Eckhard die Deutungshoheit über den Liberalismus zu überlassen. Denn dann wäre dieser Begriff am Ende nicht viel mehr als eine hohle, inhaltsleere Hülse.

Ich wünsche allen HASEPOST-Lesern ein Wochenende, an dem es ausnahmsweise mal nichts zu mösern gibt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Ihr

Justus Möser

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